Viel Laerm um Stratfield
Außerdem hatte die Anziehungskraft, die einige verheiratete Frauen angeblich auf ihn ausgeübt hatten, ihn auch nicht gerade beliebter gemacht. Er war ein Mann gewesen, der getan hatte, was er wollte, und offensichtlich hatte er es damit niemandem recht gemacht außer sich selbst. Kein Wunder, dass er nicht von vielen betrauert wurde.
Er war tot, und Chloe blieb keine andere Wahl, als ihn zu vergessen. Ohnehin wäre es nicht klug gewesen, ihn in seinen Avancen zu ermutigen. Er war ein Mann, der auf der dunklen Seite des Lebens gelebt hatte. Soweit sie es beurteilen konnte, hatte er möglicherweise sogar irgendetwas getan, um den Tod zu verdienen. Nach allem, was sie wusste, wäre er womöglich ihr Untergang gewesen. Und doch hoffte sie aus verschiedenen Gründen, dass sein Mörder gefasst wurde.
Pamelas hohe Stimme brachte sie zurück in die weniger interessante Gegenwart. „Er kam, kurz nachdem ihr gegangen wart, hierher", flüsterte sie, als die beiden Chloes Schlafkammer betraten.
„Wer kam hierher?", fragte Chloe verdutzt, mit den Gedanken noch bei Stratfield.
„Dein Bruder natürlich."
Ein paar kurze Augenblicke lang hatte Chloe tatsächlich geglaubt, Pamela hätte den Geist von Stratfield gemeint. Aber so, wie die Dinge standen, konnte sie sich nicht den Luxus erlauben, sich um die Toten zu sorgen. Die Lebenden waren es, die sie quälten. Genauer gesagt die Lebenden in Gestalt ihres Bruders Devon, der seit letztem Monat ein Flüchtling vor dem Gesetz war.
Auf dem Heimweg von einer Spielhalle in Chelsea hatten Devon und zwei seiner von sich selbst überzeugten Freunde eine Kutsche aufgehalten. Darin befand sich ihrer Meinung nach eine junge Kurtisane, die den ganzen Abend über ihre Avancen genossen und zugleich ihre Taschen geleert hatte.
Die Kutsche hatte hingegen einem älteren Bankier gehört. Es waren Schüsse gefallen, ein Lakai war verwundet worden, und Devon war untergetaucht, während sein Bruder, der Marquess, alles in Bewegung setzte, um die Wogen zu glätten, die die Taten des unbesonnenen Jünglings geschlagen hatten.
Chloe knöpfte ihr blaues Musselinkleid auf, sank mit einem unwillkürlichen Schaudern auf das Bett hinunter und starrte eine der voll gestopften Ledertruhen an, die während des Tages angekommen waren. Sie hatten die andere Truhe aus Platzmangel in ihr Ankleidezimmer geschoben. Ihre Schwester Emma hatte ihr Kleider für jede Gelegenheit geschickt, ohne zu ahnen, wie ereignislos Chloes gesellschaftliches Leben geworden war.
„Ich nehme an, Devon wollte wieder Geld", sagte sie und blickte sich im Raum um. War es nur ihre Einbildung und all das Gerede über Geister, die sie so nervös und wachsam gemacht hatten? Oder machte sie sich Sorgen, weil es schien, als wäre ihre Familie dabei auseinanderzufallen? Außer Grayson, der glücklich mit seiner klugen Frau Jane verheiratet war, schienen all ihre Geschwister rastlos zu sein. Vielleicht sollte sie sich auf ihren neuen Bewunderer konzentrieren, Lord St. John. Er hatte ganz wundervolle braune Augen und ein spitzbübisches Lächeln, auch wenn er ein wenig oberflächlich wirkte. Warum konnte sie sich nicht mit einem jungen Mann wie ihm zufriedengeben?
„Dein Bruder ist wieder durchs Fenster hereingekommen, während ich gerade dabei war, deine Kleider zu sortieren", flüsterte Pamela. „Der gut aussehende Teufel besitzt nicht das kleinste bisschen Anstand, Chloe."
„Anstand?" Chloe hielt den Atem an und hob eine Hand an den Mund. „Ich habe die Chemise völlig vergessen, die Devon ins Fenster gehängt hat!"
Pamela sah verwirrt aus. „Was für eine Chemise? Was soll Devon denn mit einer Chemise?"
„Ich konnte sie von der Kutsche aus sehen. Ich schätze, es macht jetzt auch nichts mehr. Vermutlich hält mein Bruder sich für sehr witzig", sagte sie wütend. „Erinnere mich bitte daran, sie zu entfernen, bevor ich zu Bett gehe. Ich muss diese Truhe sowieso noch ins Ankleidezimmer schieben."
„Willst du nicht einmal hineinsehen?", fragte Pamela enttäuscht.
„Nicht um ... " Chloe stand langsam vom Bett auf, während ihr Blick zur Tür des Ankleidezimmers wanderte. Dabei glitt ihr Kleid bis zu ihrer Taille herunter, und sie musste zittern. Ob sie vielleicht eine weitere Erkältung bekam? Eben war ihr ein ganz seltsamer Schauer den Rücken heruntergelaufen. „Was war das für ein Geräusch?"
Pamela blickte über die Schulter. „Was für ein Geräusch?"
„Es klang ganz so wie das Stöhnen eines Mannes", erwiderte
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