Viel Laerm um Stratfield
sich vorhin wirklich gefragt, ob er sie als Frau wahrgenommen hatte? Nun, jetzt würde sie das nicht mehr anzweifeln. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich unter den Blicken eines Mannes so verführt und begehrenswert gefühlt wie unter seiner kurzen, glühenden Betrachtung. Erst als er mit seinen grauen Augen ihrem Blick begegnete, flackerte ein wenig Humor darin auf.
„Ja", bestätigte er. „Ich habe sogar einiges über Sie gehört."
„Warum sollten Sie irgendein Interesse an mir haben?", fragte sie ihn leise.
Er zögerte. Sie standen im Schatten der Silberweiden, die das Herrenhaus umrahmten. Chloe konnte hören, wie der Regen auf die silbrigen Blätter prasselte, heruntertropfte und sie in feuchte Dunkelheit hüllte. Sie spürte, dass er kurz davor war, ihr etwas zu sagen, ein Geheimnis, vielleicht sogar den Grund, warum er so geistesabwesend und unhöflich wirkte. Seine besorgten grauen Augen erweichten ihr Herz. War er traurig, litt er vielleicht unter einer tödlichen Krankheit?
In der Hoffnung, sein Vertrauen zu gewinnen, trat sie näher zu ihm hin. Sie hatte sich schon immer zu verirrten Tieren und verirrten Menschen hingezogen gefühlt. Aber jetzt spürte sie noch eine andere Anziehungskraft, eine gefährliche Neugier, eine magnetische Wärme. War er zuvor noch so kühl gewesen, schien er nun eine wahre Brutstätte düsterer Emotionen zu sein.
„Warum?", fragte sie noch einmal.
Sie hätte überrascht sein sollen, als er sie in seine Arme zog und küsste. Es erstaunte sie jedoch mehr, dass sie nicht im Regen zerfloss. Sie war wie betäubt von der schweren Süße des Brandys in seinem Atem. In der Art, wie er mit seinen Lippen Besitz von ihr ergriff, lagen Kraft und Arroganz und beinahe so etwas wie Verzweiflung. An den süßen Schauer dieses Kusses würde sie sich ihr ganzes Leben lang erinnern. Sie rang nach Luft.
„Warum?", flüsterte er und hielt sie fest, als wäre sie ein Rettungsanker, der ihn bei Verstand hielt. Er gönnte ihr nur eine winzige Atempause, bevor er seine Zunge erneut in die zarte Höhle ihres Mundes tauchte.
Jeglicher vernünftige Gedanke schien unmöglich, als er mit den Händen über ihren Rücken strich, den Bogen ihrer Wirbelsäule und die Umrisse ihres Pos durch ihren Mantel hindurch liebkoste. Bei ihren früheren Tändeleien hatte sie stets das Gefühl gehabt, die Kontrolle zu besitzen, selbst Herrin ihres Schicksals zu sein. Nun hatte sie die Kontrolle verloren. Die gefährliche Härte seines Körpers stützte und schwächte sie zugleich.
Wie aus weiter Ferne hörte sie sein leises Stöhnen. Nie zuvor war sie so geküsst worden - oder so berührt worden. Ein Regentropfen fiel auf ihre Wange und lief ihren Hals hinunter. Er leckte ihn auf, und die Berührung seiner Zunge ließ ihren Körper erschauern.
„Sie sollten nicht alleine ausgehen", sagte er und küsste sie noch einmal. Seine sinnliche, raue Stimme ließ sie beinahe auf die Knie sinken. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, und der Puls dröhnte in ihren Ohren.
„Warum nicht?", flüsterte sie neckend. Sie wollte ihm nicht zeigen, wie sehr sie mit sich rang, um nicht noch weiterzugehen.
Mit einem Lächeln zog er sich von ihr zurück. „Dies ist ein kleines Dorf." Seine Stimme klang nun wieder unbeteiligt. Vielleicht hatte sie sich die Hitze zwischen ihnen nur eingebildet. Bevor sie sich auch nur bewegen konnte, war er bereits aufgestiegen und hatte sein Pferd in die entgegengesetzte Richtung gelenkt. „Und doch gibt es auch hier Gefahren, die eine hübsche junge Frau, die Schwierigkeiten anzuziehen scheint, besser meiden sollte. Halten Sie sich künftig von meinem Land fern."
Schwierigkeiten anziehen? Gefahren, die man meiden sollte? Sie fragte sich, was das heißen sollte. Chloe, Tochter eines verstorbenen Marquess und Schwester des jetzigen Titelinhabers, eines sehr einflussreichen Mannes, war durch seine rüde Abweisung zu verblüfft, um nachzufragen. Durchnässt und beleidigt blieb sie im Regen stehen und blickte ihm nach, wie er davongaloppierte, als wäre er ein Teil des wütenden Sturmes. Sie zögerte ungläubig, erhitzt und verwirrt durch seinen Kuss und seinen rätselhaften Rat.
Woher wusste er über sie Bescheid? Und was sollte sie mit seiner melodramatischen Warnung anfangen? Die einzigen Gefahren, die Chloe bis zu diesem Zeitpunkt im Dorf bemerkt hatte, waren ein Pastor, der gerne Klatschgeschichten verbreitete, und eine lästige Tante. Gütiger Himmel, hielt er sie etwa für ein
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