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Viele Mütter heißen Anita

Viele Mütter heißen Anita

Titel: Viele Mütter heißen Anita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ja.« Das Mädchen fuhr sich nachdenklich durch die Locken. »Können Sie übermorgen mittag?«
    »Ich habe jeden Tag Zeit genug. Ich werde wieder an der Wiese sein und unter der Pinie liegen und in den Himmel starren.« Er lächelte leicht. »Werden Sie wieder Blätter über mein Gesicht streuen?«
    »Vielleicht …«
    »Ich werde warten …«
    Und dann rannte das Mädchen fort, den Hügel hinab zum Dorf. Ihr Rock schlug um ihre schlanken Beine, er flatterte hinter ihr wie eine bunte Fahne, und ihre schwarzen Haare flogen, als winkten sie ihm zu, sie nicht zu vergessen. Er sah ihr nach, bis sie zwischen den Häusern als ein bunter Punkt verschwand. Dann wartete er noch eine Weile und spielte mit dem kleinen geflochtenen Kranz zwischen seinen Fingern.
    Er wähnte immer noch den Duft ihres Haares um sich zu haben, und er schloß die Augen, weil das blendende Weiß der Häuser im Tal seinen Augen schmerzte und es sich besser träumen ließ in der Dunkelheit. Warum habe ich sie früher nie gesehen, dachte er. Warum mußte es gerade heute sein, heute, wo ich die Kühe hütete und so zerlumpt aussehe, schlimmer als die Zigeuner, die bettelnd durch die Landschaft ziehen und die knorrigen, ausgehungerten Pferde auf den spärlichen Streifen am Straßenrand weiden lassen?
    Doch dann sah er wieder in die Sonne und ging hinab ins Dorf. Er war allein auf den Wegen, denn die Hitze trieb nicht einmal die Hunde aus dem Schatten hervor. Er ging an dem Brunnen vorbei und faßte an den Stein der Wasserschale. Sie war heiß von aufgesaugten Sonnenstrahlen, als wäre sie als Lava gerade erst aus der Erde gebrochen, wie dieses ganze Hochland Castilla in seiner Einsamkeit und Dürre aus dem Innern der Erde gequollen und zu häßlicher Rinde erstarrt war.
    Inmitten des Dorfes, nahe der kleinen Kapelle, war der Laden des Ricardo Granja. Sein Wohnhaus klebte an einem grünen Hügel, den er mit einem eigenen Brunnen und einer Benzinpumpe grün und fruchtbar erhielt – ein Beweis seines Reichtums, vor dem die Bauern den Rücken krümmten. Er kann das Wasser in die Felder statt in den Kessel gießen, sagten sie. Er schüttet das Gold in den Garten … er ist schrecklich reich. Und sie kamen zu ihm, sich Rat zu holen, die Ware zu verkaufen, und kauften wieder bei ihm das nötige Gerät, das sauer dem Boden abgerungene Geld ihm wieder zurückbringend.
    Juan Torrico putzte sich die Schuhe auf einer Stahlmatte ab, ehe er die Tür des Ladens öffnete und in den Raum trat. Wie überall in den Krämerläden der Dörfer stapelte sich die Ware bis hoch an die Decke … Waren, die alles umfaßten, was ein Mensch brauchte, und die jedes Bedürfnis befriedigten, weil es gering ist und alltäglich.
    Juan trat an die Theke und sah einen dicken Mann dahinter stehen, der sich über den Tisch beugte und eine Zeitung las. Er hatte die Jacke ausgezogen und die Ärmel seines weißen Hemdes an den Armen hochgerollt, so daß man seine dicken Muskeln sehen konnte. Lange Haare bedeckten die Arme. Der Kopf war rund und braun, es schien fast, als deute er auf einen Schuß Zigeunerblut, das nicht zu verbergen war. Der Mann schwitzte – Juan sah den Schweiß auf seiner breiten Stirn und in den schütteren Haaren, die den Kopf bedeckten.
    Als Juan eintrat, blickte der Mann kurz auf und legte die Zeitung zur Seite. Kurz musterte er den Eintretenden, und sein Interesse schwand aus den kühlen Augen. Er strich sich über seinen Schnauzbart und nickte.
    »Was soll's?« fragte er.
    »Meine Mutter schickt mich«, antwortete Juan und sah sich um. »Ich soll einige Kuhseile holen. Ich bin Juan Torrico.«
    »Torrico?« Ricardo Granja hob die Augenbrauen. »Du bist der Bruder von Pedro Torrico?«
    Er sagte zu allen, die zu ihm kamen, ›du‹, denn es waren ja bloß Bauern, die stolz waren, wenn der reiche Granja sie wie einen Freund behandelte. So, so, das ist der Juan. Ricardo Granja griff unter die Theke und warf einige dicke Hanfseile so fest auf den Tisch, daß Juan zusammenschrak.
    »Hier!« sagte Granja. »Und wer bezahlt?«
    »Die Mutter, Herr Granja.«
    »Und womit, he?«
    »Vielleicht mit Obst? Oder vielleicht brauchen Sie etwas anderes. Ich weiß es nicht. Die Mutter hat mich nur geschickt, die Stricke zu holen.«
    »Und wann kommt der Karren mit Obst?«
    »Welcher Karren?« fragte Juan vorsichtig, denn er dachte an das Mädchen.
    »War meine Tochter nicht bei dir?«
    »Ihre Tochter?« Juan sah zu Boden. Er mußte es immer tun, wenn er log, denn es erschien ihm wie eine

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