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Viele Mütter heißen Anita

Viele Mütter heißen Anita

Titel: Viele Mütter heißen Anita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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…« Er beugte sich vor, und seine Augen leuchteten. »Haben Sie schon einmal solch einen Vogel hoch in den Lüften gesehen? Wie seine Flügel ihn tragen wie eine Feder, wie er im Winde schwankt und sich treiben läßt in das weite Blau hinein? Es ist herrlich, dies zu sehen. Die Federn zittern unter dem Wind, der Kopf ist weit vorgestreckt, und die kleinen Beine liegen eng am Körper. Ein lebender Pfeil ist es … Man müßte einen fliegenden Vogel in Stein hauen können … mit all seiner Leichtigkeit, seinem schwerelosen Flug, seiner Sonnennähe …« Er wischte sich über die Augen, in deren Winkeln sich der Staub der Felder festgesetzt hatte, der Staub, der graugelb durch den Glast der Luft schwebte und sich austrocknete an den Sonnenstrahlen. »Und darum nennt mich mein Bruder einen Dummen, einen Nichtsnutz, eine menschliche Null! Weil ich kein Bauer bin, kein Mensch aus dieser staubigen Erde und nicht mit ihr ringe, das Korn und die Früchte herzugeben.«
    »Und sonst haben Sie niemanden, dem Sie es sagen können, was Sie wollen?«
    »Nein. Niemanden.« Er zeigte mit einer Armbewegung rund um die Landschaft der Santa Madrona. »Hier gibt es nur Bauern und in schlechten Zeiten hungernde Zigeuner.«
    Das Mädchen Granja sah auf seine Hände, die feingliedrig und jetzt ein wenig schmutzig in seinem Schoß lagen. Sie wußte darauf nichts zu sagen, denn sie dachte viel, was sie nicht sagen konnte, weil es unschicklich war, einem Mann mehr zu sagen, als er wissen wollte. Sie dachte an den Vater, der reich und dick in Solana del Pino hinter der breiten Theke stand und das einzige Kaufhaus im weiten Umkreis hatte. Er war sehr reich geworden, hatte einen Wagen, mit dem er oft nach Puertollano fuhr, ein schönes Haus an einem blühenden Hang, und Pilar Granja, die Mutter, war eine vornehme Frau mit schwarzen Mantillen und seidenen Kleidern voller Spitzen, die man auf der Straße voll Ehrfurcht grüßte und der man den Weg freigab, wenn sie einmal in eine dichtere Menge treten sollte. Ja, so war es mit dem Kaufmann Ricardo Granja – er war reich, und seine Tochter kannte nichts anderes als das Wohlleben in den großen Zimmern, in denen die dicken Teppiche lagen und unter den Decken die großen Flügel von Ventilatoren kreisten, wenn draußen auf der Straße die Sonne alles mit einer mehligen Staubschicht überzog und die Menschen das Freie mieden.
    Was kannte sie von der Not, die Nahrung mühsam dem Boden abzuringen? Sie hatte es schon oft gehört, wenn die Bauern kamen und dem Vater die Feldfrüchte anboten, und der Vater hatte gehandelt, denn er war ein geschickter Kaufherr und führte seinen Reichtum auf sein ständiges Handeln mit Preisen zurück. Dann stöhnten die Bauern, sie baten, sie bettelten, und sie gaben die Ware doch, denn das Silber war nützlich, auch wenn es ein Silber war, das in zehn oder zwanzig Jahren das Leben eines Menschen aufsaugte.
    »Ich muß jetzt gehen«, sagte sie und erhob sich. Ihr Seidenrock raschelte. Die nackten Beine waren braun, und Juan sah sie nahe vor sich, als sie jetzt vor ihm stand. Er blickte an ihnen empor, an dem Leib, der kleinen Brust, dem festen Hals und dem schönen, schmalen Gesicht mit den schwarzen Locken.
    »Sie müssen wirklich gehen?« fragte er leise.
    »Es ist gleich Mittag.«
    »Und darf ich mitkommen?«
    »Wenn Sie zu meinem Vater wollen …«
    »Ja … wegen der Kuhseile.«
    »Ach ja … wegen der Kuhseile …«
    Juan erhob sich und sah hinüber zu den Kühen. Sie lagen unter den Pinien im Schatten und dösten in den heißen Tag. Sie hatten Durst, aber sie wußten, daß sie erst am Abend im Stall einen Eimer Wasser bekamen. Wasser, köstlicher als Gold, wenn der Sommer über Castilla stand …
    »Gehen wir?« sagte Juan und fühlte auf der Brust seinen Zeichenblock. Er faßte an das Hemd, aus Angst, er könne herausfallen. Das Mädchen Granja sah diese Bewegung nicht – es hatte sich schon abgewandt und ging vor ihm her der nahen Straße entgegen, die am Fuße der Santa Madrona nach Solana del Pino führte. Ihr Rock wippte um ihre Beine – es sah keck aus, ein wenig verwegen und kokett. Die schwarzen Locken fielen lang auf die schmalen Schultern.
    Sie war schön. Wunderschön.
    Und Juan war glücklich, an ihrer Seite gehen zu dürfen und ihr Gesicht sehen zu können und ihren Atem zu hören, der die kleine Brust sich heben und senken ließ.
    Eine Weile gingen sie stumm nebeneinander her. Juan rupfte einige Grashalme vom Wegrand aus und flocht beim Gehen

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