Viele Mütter heißen Anita
scheint ein Fall für die Irrenärzte zu sein. Er behauptet, im Augenblick des Überfalles nicht mehr Herr seiner selbst gewesen zu sein. Aber warum nimmt er dann bei vollem Verstand ein Beil mit? Aus Solana del Pino ein Beil! Im Auto! Ich glaube, da gibt es tiefere Probleme. Vor allem sehen wir keinen Grund zur Tat. Granja ist der reichste Mann des Ortes, und dieser Juan ein armer Bauernjunge. Wie kommt der überhaupt in das Haus des Kunstakademiedirektors? War er dort Diener?«
»Nein – Gast.«
»Gast?« Caniles riß die Augen weit auf. »Wieso?«
»Juan ist eine Entdeckung Fredo Campillos. Er sieht in ihm den größten Maler und Bildhauer, den Spanien in den letzten dreihundert Jahren gehabt hat.«
Caniles riß die Augen weit auf.
»Dieser Bauernjunge?«
»Ein ausgesprochenes Naturtalent.«
»Aber warum schlägt dann dieser Ricardo Granja ihn nieder? Sie sind aus dem gleichen Ort!«
Prof. Dalias legte seinen Hut und die Handschuhe auf einen der breiten Tische und brannte sich eine Zigarette an, nachdem er auch Caniles eine angeboten hatte.
»Señor Granja hat eine Tochter. Concha heißt sie. Juan Torrico und Concha sind Jugendfreunde. Vor einiger Zeit besuchte Concha heimlich den Freund hier in Madrid. Na ja, und der Besuch blieb nicht ohne Folgen.«
Der Kommissar lachte leise. »Ich verstehe. Man nennt das die Freiheit des Künstlers!«
»Reden Sie keinen Quatsch«, sagte Dalias grob. »Es ist eine wirkliche Liebe. Soviel ich weiß, entdeckte Granja, daß seine Tochter ein Kind erwartet, und fuhr nach Madrid, um dem Sittenkodex Ihrer südlichen Breiten, Herr Kommissar, Genüge zu tun. Er wollte anscheinend Juan wegen der angeblichen Schande töten.« Dalias wischte mit der Hand durch die Luft. »Es wird Zeit, daß sich auch Spanien in diesen Dingen den etwas großzügigeren Ansichten des zwanzigsten Jahrhunderts angleicht.«
Caniles wiegte den Kopf. »Sagen Sie das bitte nicht der Regierung. Man könnte Sie einsperren. Na, ja …«, er blickte auf die Spitze seiner Zigarette. »Wollen Sie Granja sprechen?«
»Deswegen haben Sie mich ja gerufen, Caniles.«
»Natürlich. Weil ich kein Motiv hatte. Jetzt sehe ich es.«
»Ich möchte mit Granja aber trotzdem sprechen.«
»Aber bitte.«
Sie gingen aus dem Zimmer den langen, dumpfen Gang entlang. Wieder hallten die Schritte mit jener Tonlosigkeit, die sich wie ein Druck auf das Herz legt. Vor einer der schweren Türen blieben sie stehen. Caniles öffnete leise die Klappe und sah in die Zelle. Dann winkte er Dalias zu sich und trat zurück.
Dalias sah durch den Spion und erblickte eine lange schmale Zelle, an deren Längswand ein Klappbett stand. Unter dem hoch unter der Decke angebrachten, vergitterten Fenster stand ein kleiner, wackliger Tisch mit einem runden blechernen Eßnapf. Ricardo Granja saß auf dem zerwühlten Bett und starrte vor sich auf den grauen, staubigen Fußboden aus rohem Zement. Er hatte die Schuhe noch ausgezogen – seine Socken waren durchlöchert, die Hose zerknittert und das Hemd fleckig. Unrasiert sah er wie ein Strauchdieb aus, und Dalias erschrak vor dem Gedanken, wie schnell ein Mensch verkommt, wenn man ihm seine persönliche Würde nimmt.
Neben ihm klirrte der Schlüssel. Der alte Riegel quietschte, und die Tür schwang nach innen in die Zelle.
Langsam trat Prof. Dalias ein.
Granja blickte nicht auf. Er wandte sogar den Kopf zur Seite und drückte damit die tiefe Verachtung und den Willen aus, nichts zu sagen, was man auch fragen mochte.
»Ich bin Professor Doktor Dalias«, sagte Dalias laut. »Ich komme von Juan Torrico.«
Da fuhr Ricardo Granja herum und schnellte von seinem Bett empor.
»Lebt er?« keuchte er. »Mein Herr, sagen Sie es mir ehrlich … lebt er noch? Ich habe nicht gewußt, daß er so krank ist, keiner hat es mir gesagt … Ich hätte ihn nie geschlagen, wenn ich es gewußt hätte.«
»Das glaube ich Ihnen.« Dalias setzte sich auf den Bettrand und sah zu Caniles hin. Der verstand den Blick und ging leise murrend aus der Zelle, schloß die Tür ab und stellte sich draußen auf den Gang, um seine Zigarette zu Ende zu rauchen.
Dalias griff in die Tasche und bot Granja eine Zigarette an. Zögernd griff der gebrochene Mann zu, aber dann saugte er den Qualm in die Lunge und hustete hinterher, weil er zu hastig geraucht hatte.
»Juan wird in diesem Augenblick operiert«, meinte Dalias. »Sein Herz wird aufgeschnitten.«
»Der Kommissar sagte es mir schon.« Granja stierte vor sich hin. »Warum hat
Weitere Kostenlose Bücher