Viele Mütter heißen Anita
mir Concha nie etwas gesagt?«
»Vielleicht kennt sie Ihre zornigen Ausbrüche. Sie hätten ihr ja auch nie erlaubt, sich mit Juan zu treffen.«
»Das stimmt. Nie!« Granja nickte schwer.
»Und warum? Nur, weil er ein armer Bauer ist? Sind die Ärmsten keine Menschen? Ich weiß nicht, was Ihr Vater war und ob er auch so gedacht hat. Ich würde mich schämen, einen Klassendünkel aufkommen zu lassen, nur weil Sie ein erfolgreicher Händler sind und dieser Junge der Sohn eines kleinen Bauern ist! Wissen Sie denn, warum er hier in Madrid ist?«
Granja sah Dalias groß an. In seinen Augen lag eine Angst, die unverhüllt auf den Besucher übersprang.
»Er soll ganz gut zeichnen können.«
»Zeichnen? Dieser Juan Torrico wird – falls ihn Professor Moratalla retten kann – der größte Künstler Spaniens sein! Und Sie schlagen ihn zu Boden …«
»Ich wollte Concha rächen!« schrie Granja plötzlich auf. Seine Stimme schrillte durch die Tür, und Caniles auf dem Flur trat an den Spion heran und schrieb jedes Wort mit, das Granja in seiner seelischen Not herausschrie. »Ich las in ihrem Tagebuch, daß sie ein Kind erwartet. Meine kleine Conchita ein Kind! Da habe ich den Verstand verloren.«
»Das kann ich verstehen.« Dalias nickte.
»Ich wußte von nichts – und plötzlich bricht meine Welt, die Welt, die ich mir mühsam aufgebaut habe, sie bricht mir zusammen! Durch diesen Jungen!«
»Und jetzt liegt er in der Klinik, und ein anderer Mensch muß sein Herz hergeben, um ihn zu retten.«
Granja war weiß geworden. »Ein anderer Mensch …«, stammelte er. »Das gibt es doch nicht …«
»Doch! Seine Mutter …«
»Anita …«, hauchte Granja und bedeckte die Augen mit den Händen.
»Sie wird vielleicht das zweite Opfer sein«, meinte Dalias rücksichtslos.
»Durch meine Schuld«, stöhnte Granja.
»Nein.«
Der Händler zuckte auf und schaute Dalias verständnislos an. »Juan wäre in spätestens einem Jahr soweit gewesen wie heute. Sie haben die Operation nur beschleunigt. Juan war sterbenskrank.«
»Ist das wirklich wahr?« stotterte Granja. Er umklammerte Dalias Hand. »Sagen Sie das nicht bloß, um mir meinen Seelenfrieden wiederzugeben? Wollen Sie mich nur beruhigen?«
»Nein. Keiner wußte es, nicht einmal sein Bruder. Nur seine Mutter und wir Ärzte. Auch Ihre Tochter Concha nicht.«
»Und Juan?«
»Er selbst auch nicht!« Dalias legte Granja die Hand auf die Schulter. »Sie brauchen sich keine Vorwürfe zu machen. Man wird Sie auch wieder freilassen, Kommissar Caniles hat Ihre Familie nach Madrid kommen lassen.«
Ricardo Gran ja sprang auf. »Pilar und Concha sind in Madrid?!«
»Sie sind auf dem Weg. Vielleicht sind Sie schon frei, wenn sie eintreffen. Ich will mit dem obersten Staatsanwalt selbst sprechen.«
Da ergriff Granja die Hände Dalias' und drückte sie lange. Es war ein stummer Dank, wie er tiefer nicht sein konnte, und Dalias erhob sich und verließ die Zelle.
Auf dem Flur stand Caniles und steckte sein Notizbuch ein. Er sah Dalias mit einer sauren Miene entgegen und schüttelte den Kopf.
»Das haben Sie ja schön hingebogen«, meinte er trocken, als sie zurück in das Vernehmungszimmer gingen. »Und ich dachte schon, einen schönen Kapitalfall zu bekommen.«
Dalias nahm seinen Hut und seine Handschuhe und sah Caniles von der Seite an.
»Vielleicht werden Sie spätestens morgen früh einen bekommen«, sagte er leise. »Einen Fall, der Ihnen alles andere als angenehm ist.« Er riß sich zusammen und gab dem Kommissar die Hand. »Auf Wiedersehen«, meinte er.
»Nanu?!« Caniles lachte dröhnend. »Haben Sie solche Sehnsucht nach der alten Spahikaserne?«
»Ich nicht. Aber vielleicht werde ich einen lieben Freund hier öfters besuchen müssen …«
Schnell verließ Dalias das dunkle Gebäude. Draußen in der Sonne atmete er tief und warf keinen Blick zurück, als er in seinen Wagen stieg und abfuhr. Der Druck, den die Atmosphäre des Gefängnisses in ihm erzeugte, wich nicht, auch als er auf dem Platz des Justizministeriums hielt.
In der Portiersloge ließ er sich mit der Klinik Prof. Moratallas verbinden. Eine Schwester war am Apparat. Ihre Stimme war voll Erregung.
»Wie ist es?« fragte Dalias.
»Der Herr Professor operiert gerade.«
»Und mehr wissen Sie nicht?«
»Nein!« Die Stimme der Schwester wurde belegt. »Ich kann es nicht mehr aushalten. Im Nebenraum sitzt dieser Pedro, und er weint die ganze Zeit und schreit: ›Mutter! Mutter!‹ Es ist furchtbar, Herr
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