Viele Mütter heißen Anita
Flur rollte die Bahre mit Anita.
Man hatte sie gewaschen und nackt unter die warmen Tücher gelegt. Ihr Kopf war verhüllt – sie sollte Juan nicht sehen, wie er neben ihr lag, denn es war ein Anblick, den das stärkste Herz nicht ertragen konnte. Ruhe aber war es, was Moratalla brauchte … ein ruhiges Herz, das sich opferte.
Langsam rollte die Bahre durch den Flur. An die Wand gepreßt, mit starren Augen, stand Pedro und sah der verhüllten Bahre entgegen. Er rührte sich nicht, als sie an ihm vorbeirollte, aber als der Kopf der Mutter vor ihm war, als er unter dem Tuch die Form ihres Gesichtes sah, da brach es aus ihm heraus, da stürzte der große Mann in die Knie und schlug die Hände vor die Augen.
»Mutter!« schrie er. »Mutter … Mutter …« Und dann sank er mit einem Wimmern zusammen und barg sein Gesicht an die weiße Wand, preßte die Hände gegen die Ohren, um das leise Knirschen der Rollen unter der Bahre nicht zu hören.
»Mutter … Mutter …«, wimmerte er … und er sah nicht, wie sich der Kopf auf der Bahre bewegte, wie er unter dem Tuch zu ihm blickte, obgleich er nichts sehen konnte, und wie sich unter den weißen Tüchern ein Arm leicht hob, als wollte er trösten und abwehren.
Dann schlossen sich die doppelten Glastüren des Operationssaales hinter ihr … sie rollte in den Vorraum, von dort über die Fliesen des Waschraumes und durch die Glastür in den Raum, wo Juan schon in der Narkose lag.
Als das Tuch von Anitas Kopf genommen wurde, sah Moratalla, daß Tränen in ihren Augen standen. Er beugte sich über sie und streichelte ihr sanft über das runzelige Gesicht.
»Soll ich nicht operieren?« fragte er leise.
»Doch!« Anita schluckte tief. »Mein Pedro hat so geweint. Trösten Sie ihn, wenn alles vorbei ist, Herr Professor.«
»Das will ich tun, Anita.« Jetzt, an der Schwelle des Lebens, duzte er die alte, tapfere Frau. Er ordnete noch einmal das Drahtgestell mit dem Laken, das man vor ihren Kopf gespannt hatte und das ihr den Blick auf ihre Umgebung verwehrte. Dr. Albanez fuhr den Narkoseapparat und das Überdruckgerät heran. Die blitzenden Uhren und Stangen und Schläuche sah Anita einen Augenblick. Sie lächelte und sah Moratalla an, der sich über sie beugte.
»Die armen Schwestern«, sagte sie mit krampfhaft guter Laune. »Das viele Blanke immer putzen zu müssen …«
Moratalla biß die Lippen aufeinander. Diese Ruhe und Tapferkeit der alten Mutter zerrte an seinen Nerven, auch wenn er es sich nicht eingestand. Er streichelte wieder ihren Arm und das Gesicht und nickte Dr. Tolax heran.
»Haben Sie noch einen Wunsch, Anita?« fragte er stockend. »Doktor Tolax wird ihn aufschreiben und nicht vergessen.«
»Ich möchte, daß meine Kinder glücklich werden.« Anita sah von einem Arzt zum anderen. Die weißen Kappen, der Mundschutz, die langen Schürzen, alles kam ihr wie in einem Traum vor. »Sie sollen nicht weinen, wenn ich sterben muß. Sie haben alles, was sie brauchen: ein Haus, die Felder, die Herden, die Gärten, ein wenig Geld und ihre Gesundheit. Ich bin so glücklich, daß ich sie alle so groß sehen konnte. Sagen Sie das ihnen, Herr Professor …«
»Wort für Wort, Anita.« Moratalla nahm vom Narkoseapparat die gebogene Kappe und sah Anita noch einmal lange, sehr lange stumm an. Sie hielt seinem Blick stand, und sie lächelte, als sei sie wirklich voll tiefen Glückes. »Sie müssen jetzt sehr tapfer sein.« Moratalla senkte die Kappe über Anitas Mund und Nase. Dr. Albanez schloß den Überdruck an. Fest drückte Moratalla die Hand Anitas und sagte leise: »Und nun zählen sie laut und … und …«, er sah an die Decke, von der die großen Lampen strahlten »… Gott halte seine Hand über Sie …«
Die Uhren begannen zu pendeln. Ein leises Zischen durchflutete die Apparate.
Mit fester Stimme zählte Anita.
»Eins – zwei – drei – fünf – sieben – zehn –« Und leiser, immer leiser und schwerer werdend – »elf – zwölf – dreizehn – vierzehn – fünf …« Sie seufzte noch einmal, durch den Körper lief ein Zittern … dann lag sie still und atmete leise.
Dr. Albanez, der die Apparate an eine Schwester abtrat, kontrollierte noch einmal die Herz- und Pulstätigkeit.
»Alles normal«, sagte er leise.
»Und bei Juan?« fragte Moratalla.
Dr. Tolax sah zu der Narkoseschwester hinüber. Die nickte. »Auch, Herr Professor.«
Moratalla straffte sich. Er trat zwischen die Tische und ergriff das Skalpell. Es war so still im Raum, daß
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