Viele Mütter heißen Anita
Professor.« Riogordo sah zu ihm hinauf. Obgleich er selbst groß war, überragte ihn der Arzt noch. »Wie geht es Juan? Liegt er … liegt er … dort in dem Zimmer?«
»Auf siebzehn? Nein! Das ist ein Beinsarkom. Juan ist noch nicht bei Besinnung.«
»Sie haben ihn operiert? Herr Professor … ich bewundere Sie.« Riogordo zog nervös an seiner Krawatte, während Moratalla abwinkte.
»So etwas will ich in meiner Klinik nicht hören! Ich tue meine Pflicht. – Sie haben sich erboten, alle Kosten zu tragen?«
»Ja.«
»Ihr Angebot ist schön und voll Freundschaft … aber nehmen Sie es mir bitte nicht übel, wenn ich es ablehnen muß. Juan Torrico hat in meiner Klinik alles frei! Sein aufgeschnittenes Herz ist eine Wende in meinem Leben, Contes. Dafür möchte ich selbst zahlen … in jeder Hinsicht.«
Riogordo wurde bleich. »Sie haben Bedenken?« stammelte er.
Moratalla zuckte die breiten Schultern. »Jeder Eingriff in den Organismus ist ein Vabanque-Spiel. Sie können an einem Pickel an der Oberlippe genauso sterben wie an einem Lungenkrebs. Unser Leben ist ein Nichts, wenn ein Größerer als wir uns nicht hilft.«
Riogordo erbleichte. »Sie haben Bedenken?« stammelte er.
Moratalla nickte. »Wo nähme ich ohne diesen Glauben die Kraft her, gegen den Tod zu kämpfen?« Er sah sich um, als suche er etwas. »Wollen Sie hier warten, Contes?«
»Wenn ich darf, Herr Professor.«
»Ich habe nichts dagegen, solange Sie nicht in das Zimmer Ihres Freundes gehen! Ich werde Ihnen einen meiner Assistenten schicken, damit Ihnen die Zeit nicht so lang wird. Guten Abend.«
Riogordo verbeugte sich tief. »Guten Abend, Herr Professor …«
Er sah dem Riesen nach, wie er hinter einer Tür verschwand. Ein einmaliger Mensch, dachte er glücklich. Er wird Juan retten – ich glaube daran.
Samstag, den 29. Oktober 1952.
Abends sechseinhalb Uhr.
In dem kleinen weißen Zimmer am Ende des Ganges war es still. Die Vorhänge waren zugezogen, verdeckt durch einen Schirm brannte eine kleine Tischlampe. Die Schwester in der großen Haube saß, ein Buch lesend, vor dem Bett und warf ab und zu einen Blick auf das Gesicht des Kranken.
Es war spitz, hohl, wächsern.
An den eingefallenen Schläfen klopfte leicht das Blut in der hervorgetretenen Ader. Auf dem Nachttisch neben dem Bett lagen Spritzen und Ampullen, Watte und Klammern in gläsernen, blitzenden sterilen Kästen.
Es roch nach Äther und geronnenem Blut.
Die Bewußtlosigkeit Juans hielt an. Die große Furcht, daß er nicht aus ihr erwachte, saß an seinem Bett und umklammerte den Hals der einsamen Schwester. Ab und zu beugte sie sich vor und fühlte den Puls.
Er war schwach, kaum wahrnehmbar … aber das Herz schlug, und solange es sacht und manchmal aussetzend klopfte, war die Hoffnung wie ein Gebet.
In Juans Kopf kreiste ein Nebel. Wie ein Rauschen hörte er durch den Dunst, der seinen Blick umgab, das Blättern eines Buches. Ein Gefühl des Glückes durchzog ihn.
Das ist die Mutter, dachte er. Sie macht die Tüten für das Hühnerfutter auf, das Futter, das Pedro heute morgen bei Granja holte. Ach ja, ich bin ja zu Hause … in der kleinen Hütte, und unter mir ist mein Strohsack, den ich jede Woche aufschüttele, damit er hoch und weich bleibt.
Wenn ich jetzt die Augen öffne, wird die Mutter kommen und mich fragen. »Hast du schön geschlafen, Juanito?« Das hat sie immer gesagt, seit neunzehn Jahren … »Hast du schön geschlafen, Juanito …« Oh, wie schön sie das sagen konnte, dieses zärtliche, kindliche Juanito. Es war, als könnte man sich in ihre Hand verkriechen wie ein Vogeljunges unter den Federn der Mutter.
Wie merkwürdig es in der Küche riecht! Ob sie schon das Schweinefutter kochte? Es muß ein neues Futter sein … es riecht so komisch, so nach Medizin … Oder sind es die Rosen vor dem Fenster? Sie duften manchmal so herb, vor allem, wenn es geregnet hat. Die ganze Erde riecht dann stark, im Garten, auf den Weiden und in den Felsen. Ob ich nachher wieder in die Höhle gehe? Ich will das Bildnis meines Kopfes doch weiterhauen, und immer wieder muß ich den Adler sehen, den Adler aus Granit, wie er eine Maus zerreißt. Und das Kaninchen …
Er dehnte sich ein wenig und fühlte eine Hand auf seinem Arm. Das ist die Mutter, durchzuckte es ihn. Aber nein … die Hand der Mutter ist rauher, sie ist voller Schwielen … diese Hand ist glatt und weich. Ob es Elvira ist oder vielleicht gar Concha? Mein Gott, Concha, und ich liege noch im Bett und
Weitere Kostenlose Bücher