Viele Mütter heißen Anita
wieder wurde es Nacht, Juan ging in seine Kammer, Elvira hüpfte nach oben, nur Pedro ging noch einmal über den Hof und in den Schuppen und nahm aus dem Wagen das lange Paket für Juan.
Er sah sich mehrmals um, ehe er aus dem Schatten des Schuppens trat und um das Haus herum an das Fenster Juans ging. Es war geöffnet, und Juan lag schon auf seinem Strohsack, eine Kerze neben sich auf einen Stuhl geklebt. Er sah den Schatten an seinem Fenster und richtete sich auf.
»Wer ist da?« fragte er leise.
»Pedro.« Die Stimme des Bruders war flüsternd.
»Pedro?« Juan setzte sich erschreckt. »Was willst du von mir?«
»Ich möchte dir etwas geben, Juan.« Der große Bruder schob das Paket durchs Fenster und legte es auf der Fensterbank nieder. »Ich weiß nicht, ob es richtig ist … ich habe davon keine Ahnung … aber …«, er stockte … »Vielleicht freut es dich ein wenig …«
Dann war der Schatten vom Fenster weg, und der Nachthimmel sah fahl in die Kammer. Der Himmel, über den einige Wolken zogen, die ersten Wolken seit Wochen, die einen kurzen Regen ahnen ließen.
Juan erhob sich langsam und ging zum Fenster. Er betrachtete das Paket Pedros ängstlich, als enthielte es Gift oder eine Kapsel mit Sprengstoff. Dann ergriff er es, befühlte es, und seine Augen wurden weit und voller Unglauben. Er rannte mit ihm zu dem Bett, riß die Papierhülle fort und betrachtete mit bebendem Körper den Zeichenblock, die Kohlestifte, den Farbkasten und die Pinsel. Er griff in die Pinselhaare und ließ sie durch die Finger schnellen, er klappte den Farbkasten auf und zu, er befühlte den Block und schmierte sich mit den Kohlestiften die Hände voll.
Dann rannte er an das Fenster zurück und beugte sich hinaus. Aber der Bruder war längst fort und oben in seiner Kammer, sah glücklich zu, wie Elvira die dünnen seidenen Strümpfe über ihre schönen, schlanken Beine streifte und wie eine Gazelle vor ihm hin- und herschritt, und er sagte sich, daß sie doch hübscher sei als die fremde reiche Dame in Puertollano. Da küßte er sie, und sein Kuß war hart und brutal, denn er war ein schwerer Mann, der nie in seinem Leben zärtlich war. Er riß sie in seine Arme, und sie erschauderte unter seiner Kraft und stieß die Kerze um, damit es dunkel wurde und er nicht ihre Augen sah, die weit waren vor Erwartung und Entzücken über seine Männlichkeit …
Anita lag auf dem Bett in der Küche und hatte die neuen Pantoffeln in der Hand. Sie befühlte die dicke Filzsohle, den weichen Stoff aus Kamelhaar und stellte sie dann nebeneinander unter das Bett, um am Morgen schnell wieder hineinschlüpfen zu können. Dann horchte sie nach der Tür hin, hinter der Juan schlief. Dort war es still, still wie immer. Und sie blies das Licht aus.
Der flackernde Schein des verlöschenden Feuers huschte über die Runzeln ihres Gesichtes. Und es sah jünger aus, als wenn es die Sonne beschien …
Die geheimnisvolle Höhle Juans lag in einem Seitental der Santa Madrona nach dem Berg Rebollero hin.
Wie sie entstanden war, wußte niemand. Da das Hochland von Castilla vulkanischen Ursprungs ist, konnte sie nicht aus dem Granitgestein ausgewaschen sein. Lediglich eine starke Verwitterung konnte in den harten Felsen eine Höhlung treiben, aber Juan machte sich auch keine Gedanken darüber, sondern war voll Freude, daß er einen Platz hatte, wo er allein war und das tun konnte, was ihm behagte.
Er war an diesem Tag schon früh in der Höhle. Das Vieh, das er auf die Weide treiben sollte, hatte er mitgenommen und ließ es auf einem Wiesenstreifen unterhalb des Felsens weiden. Pedro hatte er nicht mehr gesehen – er war vor ihm auf die Felder gegangen, um sie durch die schmalen Gräben zu bewässern. In der Nacht war ein kurzer Regen gefallen, der das Reservoir halb gefüllt hatte, und die ausgedörrte Erde trank das Naß wie ein Schwamm. Auch Anita hatte nicht gefragt, was er unter dem Arm hielt, als Juan mit dem Vieh abzog – sie wußte nichts von dem heimlichen Geschenk Pedros.
Um die Zeit auszufüllen, hatte sich Juan auf einen großen Stein gesetzt und zu malen begonnen. Da er kein Wasser zur Hand hatte, spuckte er so lange in den kleinen porzellanenen Wassertopf, bis er die Pinsel mit seiner Spucke anfeuchten konnte. Dann rührte er in den runden Farbtöpfchen herum und versuchte die ersten bunten Striche mit Wasserfarbe auf dem Papier. Die ersten bunten Striche seines Lebens.
Verzückt betrachtete er die Farben. Jetzt konnte er den Adler
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