Viele Mütter heißen Anita
Blut, das aus dem Mund lief.
Er nahm den Kopf Juans und bog ihn nach hinten. Dann wischte er ihm das Blut von den Lippen und drückte das Taschentuch dagegen. »Komm nach Hause, Junge«, sagte er langsam, als wäre das Sprechen plötzlich schwer geworden. »Leg dich ins Bett – du bist krank …«
»Aber ich muß doch die Kühe von der Weide holen …«
»Laß das!« schrie Pedro barsch. »Geh nach Hause! Ich hole die Kühe schon …«
Damit wandte er sich ab und ging hinein in die Berge, den Weiden entgegen. Juan sah ihm nach, dem großen, starken Mann, und es war kein Groll in seinem Herzen, kein Haß, sondern nur die Hilflosigkeit einer Kreatur, die nicht weiß, was sie auf dieser Erde, die ihr feindlich ist, noch soll.
Auf dem Heimweg dachte er an Concha. Was würde sie sagen, wenn sie die Schläge Pedros gesehen hätte? Würde sie seine Lippen kühlen, würde sie ihm über die heiße Stirn streicheln und ihm trostreiche Worte sagen? Hatte er sich nicht schlagen lassen für sie? War es nicht die Strafe, weil er die Mutter belogen hatte?
Zu Hause ging er durch den hinteren Eingang in seine Kammer, weil er sah, daß die Mutter im Kleinviehstall stand und die Hühner fütterte. Auch kam der Abend schnell und ohne lange Dämmerung über die Sierra Morena gezogen, und es war schon dunkel im Zimmer, als er sich auf seinen Strohsack legte. Im Keller hörte er Elvira, seine Schwägerin, rumoren. Sie sang dabei. Er wälzte sich auf die Seite und blickte zum Fenster hin, vor dem der Himmel verblaßte und schiefergrau wurde. Ob Concha auch an ihn dachte, wie er an sie? grübelte er. Ob sie übermorgen in seine Höhle kam?
Er lag mit schmerzendem Mund, bis es Nacht war. Pedro kam mit den Kühen heim, in der Küche aßen sie. Elvira erzählte, was sie von der Nachbarin gehört hatte, es war dummer Klatsch, aber sie lebte davon und freute sich, immer das Neueste zu wissen. Und plötzlich, ohne es zu wollen, schlief er und merkte nicht, wie Anita in die Kammer kam, ihn zudeckte und wieder hinausging, sein Essen wegräumte und dann seufzend auf ihr Lager ging, um den müden Körper auszuruhen.
Juan schlief. Morgen würde die Sonne wieder scheinen, wie sie ihm bisher neunzehn Jahre geschienen hatte, und es würde wieder das gleiche sein, wie heute … die Mutter, die still duldete, der Bruder, der schrie und schlug, die Schwägerin, die sang und lustig war, und die Sehnsucht, herauszukommen in eine andere Welt, in der er das sein konnte, was niemand erkannte – ein voller Mensch.
Im Gebälk des Hauses knarrte es. Der Abendwind umstrich das ausgedörrte Holz. Aus der Küche klang monotones Gemurmel durch die Tür. Anita sprach ihr abendliches Gebet, ehe sie die Lampe löschte.
In seiner Kammer unter dem Dach saß Pedro auf dem Bett und rauchte noch eine Pfeife. Elvira hockte auf einem Schemel und kämmte sich die Haare.
»Ich werde morgen nach Puertollano fahren«, sagte er und sah den Rauchkringeln nach, die er mit gespitzten Lippen an die Decke blies.
»Was willst du denn mitten in der Woche in der Stadt?«
»Ich habe etwas zu kaufen.« Pedro erhob sich und trat an das Fenster, seiner Frau den Rücken zukehrend. »Ich will Juan einen neuen Bleistift und einen Zeichenblock kaufen …«
Und Elvira antwortete nichts, denn sie verstand ihren Mann …
Am nächsten Morgen fuhr der Händler Ricardo Granja mit seiner Frau Pilar und seiner Tochter Concha in seinem Auto nach der Stadt Puertollano.
Man hatte sich für diesen Tag allerhand Nützliches vorgenommen. Pilar wollte zu Dr. Osura, weil sie in den Ohren immer ein leises Sausen hörte. Wenn auch Dr. Osura einmal zu ihr sagte: »Mein Täubchen, du darfst nicht zu fettes Fleisch essen«, so schien ihr diese ärztliche Diagnose doch zu einfach und plump zu sein, um sich ernsthaft danach zu richten. Nun war es so, daß sie nur noch schwer einige Treppen steigen konnte, ohne in Schweiß auszubrechen und schweratmend auszuruhen. Ihr fetter Körper zuckte dann, und Ricardo, der ungebildete Händler, konnte sich ausschütten vor Lachen, wenn seine Frau schimpfend durch das Haus zog. Jetzt mußte Dr. Osura anders helfen als mit dem Rat, nicht so fett zu essen. Ricardo wiederum wollte in die Stadt, um zu sehen, ob die Trockenheit nicht die Preise emporgetrieben hatte. Er hatte in seinem Lagerhaus noch eine Sendung italienischer Melonen, die wegen ihres hohen Wassergehaltes jetzt sehr beliebt waren und hohe Preise erzielten. Vorsorglich, wie ein guter Kaufmann sein muß,
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