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Viele Mütter heißen Anita

Viele Mütter heißen Anita

Titel: Viele Mütter heißen Anita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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»Sag den Namen noch einmal. So habe ich ihn noch nie gehört«, bettelte sie. Aber in ihrer gewollt kindlichen Stimme schwang die Berechnung und der Triumph.
    »Jacquina«, sagte er leise und schaute sie mit anderen Augen an, als er vor wenigen Tagen Concha angeschaut hatte. Sie sah diesen Blick, und sie verstand ihn sofort, und es durchrann sie heiß, daß sie die Augen etwas zusammenkniff und die Schultern einzog, als spüre sie schon seinen harten Griff auf ihrer Haut.
    »Sie müssen jetzt nach Haus«, sagte sie mit mühsam fester Stimme. »Um drei Uhr ist der neue Beginn. Leben Sie wohl, Juan – bis heute abend neun Uhr …«
    Sie gab ihm die Hand, drückte sie länger und fester, als es schicklich war, und ging dann mit schnellen Schritten über die Brücke zur Altstadt hin.
    Da strich er sich mit der Hand über die Haare. Sie waren naß, klebrig … er schwitzte in der glühenden Sonne und hatte es bisher nicht bemerkt. Das Unbekannte, das Drängende seiner Gefühle erschütterte ihn. Er wußte nicht, was er mit ihm beginnen sollte, er erschrak vor dem Fremdartigen in seinem Blut und der Wildheit, mit der es ausbrach und so ganz Besitz von ihm ergriff.
    Er dachte plötzlich an Concha und schämte sich. Mit großen Schritten eilte er dem jenseitigen Ufer zu, rannte über die belebte Straße zu dem schmalen, hohen Haus und schellte. Maria Sabinar, mit den Gepflogenheiten der Akademie bestens vertraut, öffnete ihm sofort, denn sie hatte schon mit dem Essen auf ihn gewartet und die Nudeln – es gab heute Nudeln mit Tomatensoße nach italienischem Rezept – schon zweimal gewärmt. Aber sie sagte nichts – ein so hoher, feiner Herr hat anderes im Kopf als essen, dachte sie. Und dann war er ja noch neu, es gab viel Schreibereien in den Büros der Akademie, und die hielten auf. Jetzt, wo er zu Hause war, vergaß Maria Sabinar das Warten und tischte die Schüssel mit den dampfenden Nudeln auf, in einer silbernen Sauciere die dicke, dunkelrote, mit Zwiebeln verbesserte Tomatensoße.
    Und Juan aß mit großem Appetit und dachte an den Grützebrei und den Schafmilchpudding, den es zu Hause in Solana del Pino gab, oder an den Hammelbraten, wenn es Festtag war und die Mutter etwas Festliches auf den rohen Holztisch stellte. Hier war eine weiße Decke mit seidenen Fransen über die Tischplatte gedeckt, neben dem silbernen Besteck lag eine schön gefaltete, angestärkte Serviette, und Juan beobachtete heimlich Frau Sabinar, wie sie das Tuch auf ihren Schoß legte und ausbreitete, und er tat es ihr nach und freute sich, wieder etwas dazu gelernt zu haben. Er beobachtete seine Wirtin, wie sie geschickt um die Gabel die langen Spaghettifäden rollte und sie schnell in den Mund steckte, damit die Tomatensoße nicht herablief. Er tat es ihr nach, und es gelang ihm besser, als er es geglaubt hatte. Frau Sabinar, die Juan ab und zu anblickte, freute sich über den gesitteten Herrn, der so anständig aß, und sie dachte daran, daß es doch spürbar sei, wenn ein Mensch eine gute Erziehung gehabt hat und in einem großen Hause aufgewachsen ist.
    Nach dem Essen zog sich Juan auf sein Zimmer zurück und setzte sich ans Fenster. Er wollte einen Brief schreiben, aber nach der Anrede ›Liebste Mutter, lieber Pedro und liebe Elvira‹ stockte seine Feder, und er starrte hinaus auf den Fluß und mußte an Jacquina denken. Da legte er den Brief zur Seite und warf sich auf das Bett, verschränkte die Arme hinter dem Nacken und starrte an die Decke.
    Der erste halbe Tag war herum. Und er war reich an Eindrücken und Erfahrungen, Erkenntnissen und Erlebnissen. Ein halber Tag nur … und es sollten zwei oder drei Jahre werden, eine ungeheuer lange Zeit, und sie würde voll sein mit immer neuem Erleben und würde ihn reifen, den kleinen Bauernjungen aus der Santa Madrona. Hatte er sich heute wie ein Bauer benommen? Er dachte darüber nach und ließ den halben Tag noch einmal an sich vorbeiziehen. Er hatte mit Tortosa gesprochen und seine Angst überwunden. Er hatte Prof. Yehno gezeigt, was er konnte, und damit einen Grafen zum Freund gewonnen. Er hatte ein Mädchen kennengelernt, das ihn heute in der Dunkelheit des Abends zum Tanz erwartete, und er würde heute auch das Tanzen lernen, in ihren Armen liegend, und sich getragen fühlen von den Klängen eines richtigen Orchesters. In Solana del Pino hatte er ab und zu nur Radio gehört oder die Platten auf einem schnarrenden, blechern klingenden Grammophon, und schon das war ihm wunderschön

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