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Viele Mütter heißen Anita

Viele Mütter heißen Anita

Titel: Viele Mütter heißen Anita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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erschienen, daß er die Zeit vergaß und sich alle Platten vorspielen ließ. Das alles würde jetzt anders werden, das spürte er. Er würde sich benehmen können, er wußte, wie man eine Serviette gebraucht und wie man Spaghetti um die Gabel wickelt. Und alles würde er Pedro zeigen oder der Mutter oder Concha, wenn sie ihn einmal besuchen kämen. Dann würden sie stolz auf ihn, und Pedro würde sagen: »Juan, du bist ein feiner Mann geworden.«
    So träumte er in den Mittag hinein und wurde emporgeschreckt durch ein Klopfen an seiner Tür. Frau Sabinar rief:
    »Señor Torrico – es ist Zeit. Sie müssen gehen!«
    Juan sprang auf und kämmte sich schnell vor dem runden Spiegel über dem Waschbecken. »Ja – danke«, sagte er laut. Dann packte er das Briefpapier mit der Anrede wieder ein und verschloß es in der Schublade der Kommode.
    Als er wieder über die Brücke ging und an die Stelle kam, wo er mit Jacquina gestanden hatte, überfiel ihn wieder die Sehnsucht nach ihrer Nähe, und er verspürte keinerlei Lust oder Glück, wieder oben in dem Atelier zu stehen und unter dem Glasdach einen Männerarm aus dem Sandstein zu schlagen.
    Was ist nur mit mir, grübelte er. Ich bin so ganz anders, so fremd im Inneren, so triebhaft wie ein Tier. Aber während er sich noch kritisierte, hoffte er, Jacquina wieder auf dem Gang zu sehen. Mit großen Schritten rannte er über die Brücke der Akademie zu, stand eine Zeitlang auf dem Flur vor dem Zimmer Tortosas und wartete darauf, daß das Mädchen aus einem der Räume trat.
    Dann schellte es, und er mußte hinauf in das Atelier. Unlustig stieg er die Treppen hinauf und traf am Eingang zur Klasse II B den Contes de la Riogordo.
    »Wir sind gespannt, wie Sie den Arm aus dem Stein meißeln«, sagte er. »Wir alle sind gespannt.«
    Juan nickte. Er zog den weißen Kittel an und trat an seinen Steinklotz.
    Wenn es doch bald Abend wäre, dachte er dabei. Dann treffe ich sie und gehe mit ihr tanzen.
    Da sah er, daß er einen falschen Schlag getan hatte, und der Stein splitterte. Es war der erste falsche Schlag, solange er denken konnte, aber es kümmerte ihn nicht, wo er früher verzweifelt gewesen wäre.
    Wenn es doch bloß bald neun Uhr abends ist, dachte er unentwegt.
    Ich möchte Jacquina wiedersehen …
    Und ich möchte tanzen lernen …
    Ricardo Granja wunderte sich nicht schlecht, als Concha ihm beim Abendessen einen Wunsch sagte, den er nie für möglich gehalten hätte.
    »Ich möchte einmal mehr von der Welt sehen als nur die Dörfer«, sagte sie. »Ich bin jetzt alt genug. Vater, laß uns eine weite Reise machen, ja? Weiter als bis nach Puertollano. Ich habe neulich einmal gelesen, daß Toledo eine sehr schöne Stadt sein soll.«
    »Toledo? Wieso gerade Toledo?« Ricardo Granja schüttelte den Kopf, »Granada, Cordoba und Sevilla sind viel schöner! Und außerdem kann ich nicht weg. Jetzt kommt die Ernte, da habe ich viel zu tun.«
    »Dann laß doch Mutter und mich fahren«, schlug Concha vor, und sie tat gut daran, diesen Vorschlag zu sagen, denn auch ein Mann wie Ricardo Granja ist ganz gerne einmal einige Tage allein, schon, um sich mehr Gläser Wein zu gönnen, als es Pilar, seine Frau, gerne sah. Und da Pilar auch gerade nicht in der Stube war, legte er die Stirn in Falten und meinte zu Concha fragend: »Glaubst du, daß ihr das könntet?«
    »Aber bestimmt, Vater.«
    »Und nach Toledo?«
    »Ja. Es ist die nächste größere Stadt, und sie soll sehr schön sein. Warst du schon einmal in Toledo, Vater?«
    »Nein.«
    »Vielleicht kommst du doch mit?«
    »Es geht nicht, Kind.« Ricardo dachte an vielleicht acht Tage völliger Freiheit, und er hatte es plötzlich eilig, den Gedanken seiner Tochter in die Tat umzusetzen. »Ihr könnt mit der Eisenbahn bis Toledo fahren. Von Puertollano aus bis Algodorund, dann umsteigen nach Toledo.« Während er das sagte, hatte er ein Taschenbuch herausgenommen, in dem die Zugverbindungen auf einer kleinen bunten Landkarte standen. Dann sah er Concha an, die vor Erwartung blaß geworden war. »Eigentlich hast du recht, Conchita – du bist jetzt alt genug, um etwas von deinem Leben zu haben. Und die Tochter des Ricardo Granja soll ihre Heimat kennen«, fügte er stolz hinzu.
    Damit war für Concha die Reise gewonnen. Aber noch galt es, Pilar Granja, die Mutter, von dieser Fahrt zu überzeugen, und dieses schwere Stück Arbeit überließ Ricardo seiner Tochter in dem Bewußtsein, daß die Überzeugungskraft Conchas größer war als die

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