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Viele Mütter heißen Anita

Viele Mütter heißen Anita

Titel: Viele Mütter heißen Anita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Michelangelo gesehen! Er ist einmalig.«
    »Bravo, Juan Torrico!« rief Tortosa freudig.
    »Bravo?« Yehno verzog die Lippen. »Nimm den Kerl wieder aus meiner Klasse«, sagte er wütend. »Er stört uns nur. Und – was das Schlimmste ist – ich kann ihm nichts mehr beibringen!«
    »Abwarten.« Ramirez Tortosa wurde ernst. »Er soll nicht wissen, was er kann, Yehno. Behalte ihn, mach ihm das Leben schwer, sage ihm manchmal, daß er Blödsinn zeichne, kritisiere ihn, aber mit einer fruchtbaren Kritik. Dieser Junge ist ein Naturkind, Yehno – er muß in sein Genie hineinwachsen wie ein Baum, der bisher wild wucherte und nun veredelt werden soll. Das dauert Jahre, Yehno. Und Juan ist nicht anders – er ahnt, was er kann, aber wenn er es erst weiß, wird das Primitive in ihm wach, und er verpraßt sein Genie in lächerlichen Kleinigkeiten, mit Frauen und Aufträgen der plakativen Kunst. Wir verstehen uns, Yehno?«
    »Ja, Ramirez. Ich werde ihn behalten. Und wenn er alles, was ich zeige, bemängelt?«
    »So laß es bemängeln. Laß es ihn besser machen … dabei lernt er. Es gibt keine bessere Schule als den Ehrgeiz!«
    »Das wird ein bitteres Jahr für mich, Ramirez«, sagte Yehno leise.
    »Schlucke es.« Tortosas Stimme war eindringlich und überzeugend. »Du wirst später glücklich sein, als der Lehrer von Spaniens größtem Künstler genannt zu werden.«
    Ja, und dann schrillte die Klingel durch das Haus, schneller, als es Juan erwartet hatte, denn er stand vor seinem Sandsteinblock, und das Glück durchrann seinen Körper. Jetzt hatte er alle Werkzeuge neben sich, die er sich immer gewünscht hatte, die feinsten Meißel, die verschieden starken und harten Holzhämmer, die Stichel, die Strichmeißel, die Glätter, und er punktierte aus dem weichen Sandstein die rohe Form des Armes und freute sich sehr, daß es ihm gelang und die anderen Kameraden um ihn standen und ihm stumm zusahen, als sei er der Lehrer und nicht der Schüler, der vor vier Stunden noch unbekannt bei Frau Maria Sabinar aus dem Fenster gelehnt und so grenzenloses Heimweh gehabt hatte.
    Als die Klingel ertönte, legte er den Holzhammer hin und stieg von dem kleinen hölzernen Podest herab, auf dem er während der Arbeit stand.
    »Was ist das?« fragte er den Kreis, der um ihn stand.
    »Eine Pause.« Einer der Schüler, ein großer, schlanker Mann mit mittelblonden, glatten Haaren, sagte es. »Sie können jetzt nach Hause gehen. Die neue Stunde ist erst um drei Uhr nachmittags. Wir haben dann Anatomie.«
    »Ach so. Danke.« Juan wischte sich die Hände an dem weißen Kittel ab und sah sich um. »Es freut mich, daß Sie mich so schnell bei sich aufgenommen haben«, sagte er leise.
    »Sie sind ein Teufelsjunge!« Der große Schüler lachte. »Das hat noch keiner gewagt, den Alten zu maßregeln.«
    »Ich wollte es auch nicht.« Juan hob wie um Verzeihung bittend beide Hände. »Mir gefiel der Arm bloß nicht. Das ist alles.«
    »Sie sind gut!« Der Lange lachte. »Und wenn – so etwas sagt man nicht so einfach einem Professor.«
    »Aber warum denn? Es ist doch die Wahrheit?!«
    Da lachte man laut, und Juan wußte nicht, warum man lachte, und spürte wieder in sich die große Unsicherheit. Er nickte, drängte sich aus dem Kreis heraus, hängte seinen Mantel, den er im Gehen auszog, wieder an den Haken und verließ den Saal gleich hinter Prof. Yehno, der ihn nicht beachtete. Er sah nicht, daß der Lange ihm folgte – erst auf der mittleren Treppe fühlte er sich von hinten an den Rock gegriffen und zurückgehalten.
    »Juan Torrico«, sagte der Lange. In seinen Augen stand tiefer Ernst. »Ich wollte Ihnen nur noch eins sagen. Wenn Sie Hilfe oder einen Freund brauchen, ich bin immer für Sie da. Ich heiße Contes de la Riogordo.«
    »Sie sind ein Graf?« stammelte Juan erschrocken. Es war der erste Graf, den er in seinem Leben sah. Er verbeugte sich. Aber Fernando Riogordo klopfte ihm auf die Schulter. »Für Sie bin ich ein Kamerad, sonst nichts. Bitte, denken Sie an mich, wenn Sie etwas brauchen …«
    Verblüfft sah Juan der großen, hageren Gestalt nach, wie sie die Treppen hinabsprang, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. Ein Graf, dachte Juan, ein Graf hat mir auf die Schulter geschlagen. Er hat gesagt, er wolle mein Freund werden. Ein Graf? Das muß ich sofort der Mutter schreiben und Pedro und Concha, ja, vor allem Concha. Wie kann der alte Ricardo Granja noch nein sagen, wenn ich einen Grafen zum Freunde habe …
    Verwirrt von diesen Gedanken

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