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Viele Mütter heißen Anita

Viele Mütter heißen Anita

Titel: Viele Mütter heißen Anita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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trat er an der gläsernen Pförtnerloge vorbei ins Freie auf die belebte Straße und war einen Augenblick von dem grellen Sonnenlicht wie geblendet. Er blinzelte in den Mittag hinein und versuchte, sich klarzuwerden, wie der nächste Weg zu Maria Sabinar führte, als er ein helles Lachen hörte, das ihm bekannt vorkam. Er drehte sich herum und sah das Mädchen aus dem Flur vor sich stehen. Ihre grell geschminkten Lippen waren hell und sinnlich, das Kleid eng um den schlanken Körper, die nackten Beine in weißen, hohen Pumps, die in den Gang ein Wiegen und Wippen legten. Ihre Augen waren voll Glanz und Lockung, voll anziehender Verworfenheit und fesselnder Versprechungen.
    »Sie?« sagte Juan gedehnt. »Haben Sie auch frei?«
    »Ja, Herr Torrico!«
    »Sie kennen meinen Namen?«
    »Der Chef hat ihn mir gesagt. Ich mußte Ihre Zeichenmappe holen.«
    »Ach! Und haben Sie einmal hineingeblickt?«
    »Ja.« Sie lächelte mit der Süßheit, hinter der ein fordernder Ernst steht. »Es sind schöne Zeichnungen. Vor allem der Mädchenkopf.« Sie sah ihn groß an. »Es ist Ihre Braut?« fragte sie direkt.
    »Ja«, antwortete Juan ohne Zögern. »Es ist Concha.«
    »Und ich heiße Jacquina.«
    »Ein schöner Name … fast so schön wie Sie selbst«, sagte Juan, da er einmal gelesen hatte, daß man einer schönen Frau immer sagen soll, daß sie schön ist.
    Jacquina beugte den Kopf etwas zurück. Ihre Brust spannte sich unter dem dünnen Seidenkleid. Es war nicht möglich, daß Juan sie übersah, und er bemerkte sie und wurde unsicher. Ein Gefühl durchrann ihn, das er bisher nie gekannt hatte, auch nicht, als er Concha küßte, denn diese Küsse waren rein und von der Seele gewünscht. Aber dieses Gefühl, das ihn jetzt durchrann, kam nicht aus dem Herzen – es war merkwürdig, prickelnd, es flüsterte Taten zu, die ihm sündhaft erschienen und die doch vor diesen Lippen und diesen seidenüberspannten Brüsten ins Unermeßliche stiegen.
    »Gehen wir ein Stück zusammen, Herr Torrico?« hörte er Jacquinas helle Stimme. Er nickte stumm und setzte die Füße voreinander, nicht darauf achtend, wohin er ging. Er sah sie an seiner Seite trippeln, sich in den Hüften wiegend und mit einem Lächeln, das ihn verwirrte. »So in Gedanken?« fragte sie. »Sie sprechen ja gar nichts?«
    »Was soll ich denn sagen?«
    »Daß es schön ist, daß wir zusammen Spazierengehen.« Sie lachte ihn an und schob ihren Arm, ohne zu fragen, unter den seinen. »Werden wir heute abend tanzen?« fragte sie mit leiser Stimme in sein Ohr. Er spürte den Hauch ihres Atems und das Kitzeln ihrer Lippen an seiner Ohrmuschel.
    »Ich kann nicht tanzen«, sagte er stockend.
    »Dann lehre ich es Sie. Einverstanden?«
    »Ich muß lernen«, meinte er ausweichend.
    »Immer müßt ihr lernen! Das ist so ein Vogel von Tortosa! Da kommt ihr nach dem schönen Toledo, und wenn ihr wieder abfahrt, nach einem oder gar nach zwei Jahren, dann kennt ihr nur die Akademie, die Ateliers, die Bibliothek und eure Bude, wo ihr euch vergrabt und büffelt! Wollen Sie auch so ein Leben führen, Torrico?«
    »Ich werde es müssen. Ich will weiterkommen und etwas werden.«
    Jacquina drückte seinen Arm an ihren Körper. Er spürte ihre Wärme und schauderte leicht zusammen. »Das Leben kann auch anderes geben als nur Arbeit«, versprach sie. »Wo wohnen Sie denn? In der Altstadt?«
    »Nein, direkt am Fluß. Rua de los Lezuza 41. Bei Maria Sabinar.«
    »Der Rechtsanwaltswitwe?«
    »Ja.«
    »Oh!« Sie warf die Hand durch die Luft. »Das ist schade. Die will nicht, daß ihre Zimmerherren Damenbesuche empfangen.«
    »Wollten Sie mich denn besuchen?« fragte Juan verblüfft.
    »Warum denn nicht?« Jacquina warf den Kopf zurück. »Wir sind doch moderne Menschen. Was kümmern uns die alten, verstaubten Sittengesetze? Der frische Wind kommt aus Amerika …«
    »Soso, aus Amerika …« Juan hielt auf der Brücke an und sah hinab in den Tajo, der silbern in der Sonne glänzend unter ihm rauschte. »Und in Amerika sagen die Männer ja, wenn eine schöne Frau sie bittet?«
    Jacquina lehnte sich neben ihn und legte den Arm um seine Schulter. Die Weichheit ihrer Haut und der Duft ihres Parfüms, der den Körper einhüllte, umnebelten ihn. Er hörte nicht mehr den Fluß rauschen, sondern dachte, es sei sein Blut.
    »Gehen wir tanzen?« fragte sie ihn wieder ins Ohr.
    »Ja«, stotterte er.
    »Wir treffen uns hier an der Brücke. Um neun Uhr, ja?«
    »Ja, Jacquina.«
    »Oh!« Sie drückte sich an ihn.

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