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Viele Mütter heißen Anita

Viele Mütter heißen Anita

Titel: Viele Mütter heißen Anita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ergreift, wenn es an der Schwelle zur Frau steht.
    Denn Concha wußte, daß die Reise nach Toledo auch eine Entscheidung für ihr Leben würde …
    Schon eine halbe Stunde früher stand Juan an der Tajobrücke und wartete auf Jacquina.
    Er hatte sich etwas herausgeputzt, denn er wußte, daß man auch als Mann ein wenig auf das Äußere sehen muß, um den Mädchen zu gefallen. Er hatte das neue Hemd und den neuen, dunkelgrauen Anzug an, den Dr. Osura ihm geschenkt hatte; er trug die neuen braunen Halbschuhe, die so leicht an den Füßen waren, daß er erst glaubte, er gehe barfuß, und er trug sogar seinen hellen Staubmantel über dem Arm, sauber zusammengelegt, wie er es heute nachmittag auf der Straße bei einigen gut gekleideten Herren gesehen hatte und es sich sofort merkte mit dem Drang, in wenigen Tagen so viel Wissen in sich aufzunehmen, wie es nur möglich war. Auch hatte er seine anfängliche Scheu überwunden und war in ein Blumengeschäft gegangen, hatte einen Strauß Chrysanthemen gekauft und hielt sie jetzt etwas schamhaft in der Hand vor seinen Leib, damit ihn nicht jeder bemerkte und gleich sehe, daß er ein hübsches Mädchen erwartete.
    Das Leben auf der Brücke war bewegt und laut. Die großen Büros, die im Sommer sogar bis acht Uhr arbeiteten, spuckten ihre Angestellten aus – die fahrenden Händler mit ihren Eselskarren versperrten die Straße und schimpften sich mit reichen Gesten mit den Autofahrern herum, während sich die Radfahrer wie Artisten durch dieses Wirrwarr wanden und trotzdem keinen anfuhren.
    Es war ein Leben, in welchem Juan bisher nie gestanden hatte. Die Hast der Menschen in der Stadt war ihm fremd, das laute Reden erschreckte ihn, die Rücksichtslosigkeit aller gegen alle ergriff ihn wie ein Schlag ins Gesicht, und doch war er nun mitten hineingestellt in dieses wüste Leben, wie er es innerlich nannte, und wartete auf der Brücke in seinem besten Anzug mit Blumen in der Hand auf die rotgeschminkten Lippen der lockenden Jacquina.
    Die Zeit ging schnell dahin. Wenn man beobachtet, verfliegt die Zeit, und eine halbe Stunde ist ein Augenblick. So war auch Juan überrascht, als er Jacquina von weitem kommen sah … ein wippendes Geschöpf auf hohen schwarzen Schuhen, einem frechen Lächeln um die vollen, roten Lippen, um den schlanken Körper ein enges Kleid, und Juan sah mit Mißbilligung und doch Stolz, daß mancher Mann sich umdrehte und ihr nachschaute und ihn beneidete, daß er auf sie zugehen konnte und ihr den Chrysanthemenstrauß überreichen durfte.
    »Ich freue mich«, sagte er linkisch und verbeugte sich ein bißchen zu tief. »Sie sehen wundervoll aus, Jacquina.«
    Sie lachte ihn dankbar an, aber in diesem Lachen war der Sieg über ihn, ein Sieg, bevor noch ein Kampf gewesen war. Sie hakte sich bei ihm unter und beugte ihre von einer Duftwolke umhüllten Locken zu ihm hinüber. »Vertrauen Sie sich meiner Führung an?«
    Er nickte glücklich. »Was sollte ich anders tun?« fragte er. »Ich kenne doch Toledo nicht …«
    »Ich weiß ein schönes Lokal, etwas außerhalb am Tajo. Dort spielt eine Zigeunerkapelle …«
    »Nein!« Juan zuckte auf. Verwundert sah ihn Jacquina an. »Keine Zigeuner!« rief Juan erregt. »Ich will keine Zigeuner mehr sehen!«
    »Aber Juan!« sagte Jacquina voll Schrecken.
    »Nein! Ich will nicht!« Er riß sie von der Brücke herunter und lehnte sich schweratmend an eine Hauswand. »Ich gehe mit Ihnen bis nach Madrid, Jacquina … aber keine Zigeuner! Ich kann sie nicht ertragen …«
    Jacquina zog den schönen Mund kraus. Das Benehmen des jungen Mannes befremdete sie. Wie wild er werden kann, dachte sie. Was soll das bloß? Das ist doch Dummheit, keine Zigeuner zu sehen.
    »In den meisten Tanzlokalen spielen Zigeuner«, sagte sie angriffslustig.
    Juan starrte sie an. »Dann werde ich nicht mit Ihnen Tanzen gehen …« Und als er sah, daß sie ihn verständnislos ansah und begann, ärgerlich zu werden, sagte er leise: »Mir hat einmal eine Zigeunerin in meiner Heimat geweissagt. Seitdem kann ich keine Zigeuner mehr sehen …«
    »Ach so!« Jacquina lachte hell. »Wer wird so abergläubisch sein, Juan? Das ist doch Dummheit, an solche Prophezeiungen zu glauben. Kommen Sie – wir gehen tanzen, und der Bann vor den Zigeunern ist gebrochen.«
    Sie zog ihn mit sich, und Juan folgte ihr willig. Er sah ihre roten Lippen, ihren schlanken, biegsamen, wie ein Versprechen wirkenden Körper, und er fühlte wieder in sich das Triebhafte seiner Natur, das er

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