Viele Mütter heißen Anita
Juan blieb er stehen und fragte: »Und Sie, Torrico? Haben Sie etwas bemerkt?«
Juan zögerte etwas. Dann schaute er auf, sein Kopf flog mit einem Ruck in den Nacken.
»Ja, Herr Professor«, sagte er laut.
Die anderen hörten mit der Arbeit auf und blickten zu Juan und Yehno hinüber.
»Und was haben Sie bemerkt?«
»Daß der Arm falsch ist!«
»Was?!« Prof. Yehno schluckte ein wenig – er strich sich die weißen Locken von den Augen und wurde ein wenig rot. »Der Arm ist falsch? Welcher Arm?«
»Das Tonmodell, Herr Professor.«
»Unmöglich! Das Modell stammt von mir!«
Juan verkrampfte die Hände, aber er war es gewöhnt, nicht zu lügen. Bei ihm in den Bergen gab es keine schmeichelnde Lüge – bei ihm herrschte die Offenheit des natürlichen Menschen, der sagt, was er sieht und was recht ist.
»Sie haben mich gefragt, Herr Professor«, sagte er stockend. »Ich dachte, Sie wüßten es und wollten mich nur prüfen. Verzeihen Sie bitte …«
Prof. Yehno sah sich um. Er blickte in die starren, erwartungsvollen Augen seiner anderen Schüler, sah die leicht geöffneten Lippen, die vor Spannung bebten, und er schrie unbeherrscht:
»Was ist falsch, will ich wissen!«
»Der ganze Arm.« Juan erhob sich und ging an das Tonmodell, das mitten im Kreis der Schüler stand. Aller Blicke folgten ihm – man hielt ihn für irrsinnig, für einen Außenseiter, der es wagte, den Lehrer zu tadeln. Aber man sah ihn an, und die Augen aller Schüler glänzten, als Juan mit den Fingern über das Modell fuhr. »Dieser Arm ist ein Arm wie auf einer Fotografie. Er hat Sehnen und Muskeln und Fleisch darüber … aber mehr auch nicht!«
»Was soll er auch mehr haben?« brüllte Prof. Yehno erregt.
»Leben, Herr Professor … pulsendes Leben … auch im Ton oder im Stein …«
Einen Augenblick war es totenstill in dem weiten Saal mit der halb mit einem Vorhang zugezogenen Glasdecke. Die Sonne spielte mit dem Staub, der durch die Luft tanzte. Doch dann begann ein lautes Trampeln, wie es Studenten immer vollführen, wenn sie ihren Beifall spenden … und dieses Trampeln riß Prof. Yehno herum, er verfärbte sich, er wurde rot und riß sich an den weißen langen Haaren. Juan lächelte schwach. Wenn er auch dieses Trampeln nicht kannte – er ahnte, daß es Anerkennung war, daß er in den Kreis der zehn Männer und der zwei Mädchen aufgenommen war, daß er einer der ihren war und sie ihn voll in ihre Gemeinschaft aufgenommen hatten. Das machte ihm Mut, und das machte ihn sogar übermütig – er schob das Tonmodell zur Seite und ergriff einen Block, der auf einem der Tische lag. Vom Ohr des ihm am nächsten Sitzenden nahm er einen Bleistift und begann, den Block stehend vor sich hinhaltend, einen Arm mit wenigen Strichen auf das Papier zu zeichnen. Es war kein Arm, wie er fotografisch aussah – es war ein muskulöser Männerarm, wie ihn Michelangelos Phantasie gesehen haben würde oder der Blick des Rodin. Ein Arm, kraftvoll, olympisch – man sah die Adern durch die Haut leuchten, die Muskeln spannten die Haut, und in der Armbeuge sahen schwach die Sehnen durch … ein Arm, der lebte, der atmete, der durchpulst war, und doch ein Arm, wie er noch nie fotografiert wurde.
»Bitte«, sagte Juan schlicht und gab Prof. Yehno das Blatt. »Es ist nur eine flüchtige Skizze … aber so stelle ich mir einen Arm vor … Verzeihen Sie, Herr Professor.«
Yehno nahm das Blatt und trat damit in die Sonne. Er betrachtete es lange, er tastete mit dem Blick die Linien ab und gab es dann stumm an die Schüler weiter, die die Zeichnung umringten.
»Suchen Sie sich einen Arbeitsplatz aus, Torrico«, sagte er schroff. »Fangen Sie an, Ihren Arm in die Plastik umzusetzen.« Und er drehte sich herum und ging in den Hintergrund des Saales an seinen Schreibtisch, setzte sich mürrisch auf den Stuhl und starrte auf die Papiere, die vor ihm lagen. Dann nahm er den Hörer des Haustelefons ab und rief Prof. Tortosa an.
»Hier Yehno«, murmelte er ärgerlich. »Ramirez, der Neue, der Torrico, ist da.«
»Gut. Hast du ihn geprüft?«
»Nein – er mich!«
»Was?« Tortosa lachte schallend. Den Ärger in Yehnos Stimme hörte er klar heraus. »Erkläre … wie war das denn?«
»Er hat meine Armplastik in Grund und Boden verdammt und mit ein paar Strichen einen neuen Arm entworfen.«
»Und, Yehno – zufrieden?« Tortosa beugte sich vor Spannung etwas vor. Die Stimme des Alten war voll Knurren.
»Zufrieden? Ich habe solch einen Arm bisher nur bei
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