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Vielen Dank für das Leben

Vielen Dank für das Leben

Titel: Vielen Dank für das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Berg
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spuckten sie auf den Boden und tranken danach, um die alten Zeiten zu bedauern, sich zu bedauern, in diesem Dorf, das zerfiel, in den Häusern, die zugig waren, und dabei gab es doch Neubauten in der Stadt. Die Milchviehanlage ließ sich auch betrunken bedienen, der Dorfkonsum verkaufte Rosenthaler Kadarka, Doppelkorn und Bärenblut. Neben einigen weiteren Grundnahrungsmitteln.
    Prost, Heidi.
    Der alte Mann hatte seinen Verfall nicht bei vollem Bewusstsein miterlebt, es war nichts mehr in ihm, das sich selber hätte beobachten können, beim morgendlichen Erwachen in dem seit Jahren ungewaschenen Bett, in dem nie eine Frau geschlafen hatte, da war immer etwas dazwischengekommen, das Kälbchen, irgendwas. Wie fast alle seines Alters im Dorf war er frühpensioniert worden, als sich seine Unfallstatistik zu negativ auf den Fünfjahresplan auswirkte. Irgendwann konnten die Genossen Bauern nicht einmal mehr den Vakuumsauger ans Kuheuter heften, in der Karussellmelkanlage, vom Bedienen schweren Geräts ganz zu schweigen. Was geriet da an Beinen in Häcksler, an Schlafenden in Mähmaschinen, und wurden sie pensioniert, saßen zu Hause und beobachteten, was aus ihren Wänden wucherte.
    Der alte Mann wusch sich kaum, aß nichts außer Makrelen in Tomatensoße, woher kamen nur die tausend Dosen im Keller, trank und wartete, dass der Tag vorüberging und er sich wieder in sein Bett legen durfte.
    Das Kind starrt mich an, nuschelte der Alte, die Zähne waren ihm abhandengekommen, und ein Gebiss hatte er sich nie machen lassen, denn die waren für alte Leute und er hatte sich, wie die meisten Menschen, in einem bestimmten Abschnitt seines Lebens zementiert, der nichts mit einer alten Person zu tun hatte.
    Ach, lass doch das Kind in Ruhe, sagte die Frau, sie hatte sehr zügig drei Wassergläser Doppelkorn getrunken, die Wohnung des Mannes schien ihr nun wie etwas Freundliches aus ihrer Kindheit. Vielleicht hatte es mit Ferien zu tun. Oder mit ihrem Großvater, obgleich sie sich nicht erinnern konnte, einen besessen zu haben.
    Die landwirtschaftliche Großproduktion steht im antagonistischen Widerspruch zur Evolution, sagte die Frau. Dieses Land ist gefängnisgewordene Monokultur. An manchen Tagen klang etwas an in ihrem Hirn, von früheren Zeiten, als sie noch hoffte und an Veränderung glaubte. Jetzt war sie überzeugte Pessimistin, sie saß neben dem Alten, der nickte, jaja, die Monokultur, murmelte und mit seinem Fuß ein Stück Zeitung auf dem Boden nach links schob.
    Das Baby bewegte sich, es sah aus, als mache ein alter Chinese Tai-Chi. Hätte jemand beobachtet, mit welch langsamer Sorgfalt das Kind sich zur Seite drehte, hätte er sagen können: Sind das für ein Baby nicht befremdliche Bewegungsabläufe? Doch da schaute keiner.
    Dem Kind war es unangenehm, durch zu lautes Geschrei darauf hinzuweisen, dass es sich nicht wohlfühlte. Vielleicht entsprach es seinem Charakter, oder die Intelligenz von Babys ist doch größer als angenommen, es schien zu wissen, dass Geschrei ihm nicht weiterhelfen würde. Die Windel würde nicht gewechselt werden, nicht in den nächsten Stunden, am Abend irgendwann, zu Hause, auf der Matratze, wenn der Geruch zu stark geworden war und bevor die Frau sich wieder auf ihre Tour durch die Nacht begab.
    Die Frau erhob sich schwankend, packte ihre Sachen, zu denen das Kind gehörte, und taumelte über den zeitungsbedeckten Boden. Sie hatte den alten Mann vergessen, noch während ihrer Anwesenheit in seinem Raum, auch der alte Mann wusste nicht mehr, wo er sich aufhielt, er starrte an die Wand und überlegte, was er als nächstes trinken konnte.
    Die Frau befand sich anschließend, ohne ausufernde Verabschiedung, wieder auf einer Landstraße, mit so guter Laune, dass sie lachen mochte und singen. Und das Kind, was war das für ein wunderbares Kind, und wie es sie verstand, in ihrem Vortrag von den großen Zusammenhängen, und wie sie doch alles besser wüsste, wollte da nur endlich einer ihren Rat einholen! Sie bewegte sich, als rolle sie in einem Ballon. In einem anderen verdreckten kleinen Dorf wartete eine alte Dame mit starker Hemiplegie, sie war der Berner Sennhund der Landbevölkerung, launig war die Frau, vielleicht eine halbe Stunde, ehe der Alkoholpegel sank und die Euphorie einem Unwohlsein wich.
    Wie krumme Finger standen die Obstbäume an der Allee mit all ihren Löchern. Ochsen könnten sich darin verbergen, und die Frau sah ihre Beine zu nah unter sich, um sie lange Glieder nennen zu

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