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Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)

Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)

Titel: Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Schreiner
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Schmerz aus ihm heraus, und er weinte über Minuten hemmungslos in meinem Arm. Und ich weinte innerlich mit.
Ich trug den Jungen in mein Büro und setzte mich mit ihm in einen Sessel.
„Was ist passiert, Henry?“, fragte ich ihn jetzt. 
Da floss die ganze Geschichte aus dem kleinen Kerl heraus. So bitter, so schlimm, dass ich in dem Moment Chris dafür hasste. Ich erklärte Henry, dass die Sache, die Chris mit ihm gemacht hatte, ganz schlimm und falsch war. Dass so etwas verboten ist und Chris dafür von uns bestraft würde. Auch, dass Chris auf eine andere Station käme. Dass so etwas nie wieder passieren würde. 
Henry nickte und rieb seine Tränen weg. Ich lobte ihn für sein Vertrauen und seine Offenheit und fragte leise, ob ich mir sein Glied einmal anschauen dürfte. Ob keine Verletzungen zurückgeblieben waren. Henry hüpfte mir vom Schoß und zog seine Hose herunter. Ich versicherte Henry, dass nichts passieren würde, was er nicht wollte und holte mir ein paar Gummihandschuhe für die Untersuchung. Sein Glied war etwas gerötet, und als ich seine Eichel untersuchen wollte, stellte ich fest, dass sich seine Vorhaut nicht zurückschieben ließ. Sie war einfach zu eng, und Henry schrie kurz auf. So etwas durfte nicht sein. Ich erklärte ihm, dass die Vorhaut so weit zu dehnen sein müsste, dass sie sich über das Glied zurückschieben lassen müsste. Wenn das nicht der Fall ist, müsste man den kleinen Vorhautring weiten. Ich wollte nicht sprengen oder aufschneiden sagen. Das macht man gewöhnlich im Kleinkindalter. Damit beließ ich es. Bei Henry ist die Kontrolle vergessen worden, so dass eine Operation bei ihm unumgänglich war. Seine Vorhaut musste operativ erweitert werden. Der Junge musste höllische Schmerzen durch Chris erlitten haben. Weit schlimmer, als man es sich vorstellen mochte.
Ich bat Henry, die Hose wieder hochzuziehen und dankte ihm noch einmal für das entgegengebrachte Vertrauen. Ich machte eine Notiz und wollte mich gleich noch um einen Urologen kümmern.
Als ich mich meiner Handschuhe entledigte und meine Hände gewaschen hatte, verabschiedete ich Henry mit einem festen Händedruck. Das war eine großartige Leistung von ihm gewesen.
Ich fragte ihn, ob er einverstanden wäre, mit einem Fachmann über diese Schmerzen an seinem Glied zu reden. Der könnte ihm die Schmerzen nehmen. Um ihn zu beruhigen, sagte ich mit lauter Seemannsstimme: „Bei mir war's genau das gleiche, Sir! Jetzt ist alles in Ordnung, Sir. Keine Schmerzen mehr, Sir.“ Mit meiner rechten Hand ahmte ich einen Generalsgruß nach. „Sir“, sagte ich, „soll ich Ihnen die gleiche Hilfe verschaffen?“
Henry ahmte mir meinen Gruß nach und sagte grinsend: „Ja, Sir!“
Ich begleitete Henry auf seine Station und verfasste anschließend einen kleinen Bericht über unsere Begegnung. Dabei erwähnte ich den Vorfall im Camp und belastete damit auch wieder Dr. Pilburg. Die Zusammenhänge mussten schließlich plausibel sein. Henry würde früher oder später sowieso etwas erzählen. Wenn dann nichts in meinem Bericht stände, würde ich mit im sinkenden Boot sitzen.
Ich rief Pilburg an und berichtete ihm von meiner Begegnung mit Henry und den Untersuchungsergebnissen. Auch, dass für Henry im Grunde ein positives Ergebnis herausgekommen sei. Seine Vorhaut war behandlungsbedürftig. Darüber war Pilburg erfreut, und ich kontaktierte am gleichen Abend einen Urologen für Henry.
Chris, Dr. Brisco und Mr. Kalinski sah ich an diesem Tag nicht mehr. Dafür geisterten in der kommenden Nacht viele Spukgestalten in meinen Träumen umher.
Seit Chris auf der Station war, konnte ich keine Nacht mehr durchschlafen. Jeden Tag ereignete sich eine Fülle von Vorfällen, die ich kaum noch sortieren konnte. Es war, als wenn mir jemand einen Wollknäuel mit zehn Enden hinhielt und egal, an welchem Ende ich zog, ich fand das, was einen Knoten verursachte. Damit wurde mir immer klarer, dass ich diesen ganzen Wollknäuel loswerden musste. Ich musste bei der Wahrheit bleiben, egal welchen Zirkus Chris daraus machen würde.
Vielleicht sollte ich noch einmal mit Dr. Brisco über ein klares Konzept reden. Wir sollten eine Mauer gegen Chris aufbauen.
Dass uns schon der erste Stein dafür fehlte, erfuhr ich am nächsten Morgen.
    Ein grauer Regentag nahm mir beim Aufstehen schon die Lust an der Arbeit. Ich bin ein sonnensüchtiger Mensch und kann mit grauen Tagen nichts anfangen. Heute war also ein Misttag. 
Ich sammelte meine ganze Energie, um den

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