Vielleicht Verliebt
Aber die Papa-Tristan-Geschichte könnt ihr euch ja gegenseitig erzählen.«
***
Elisa steht vor dem grauen Bungalow und schluckt. Sie hätte nicht gedacht, dass sie sich so mulmig fühlen würde. Eigentlich weiß sie ja, dass sie gleich endlich B-O wiedersehen wird, den sie die ganze Zeit so wahnsinnig vermisst hat. Eigentlich weiß sie, dass sie Max diesmal nicht aus dem Haus zerren muss, sondern dass er sich schon darauf freut, sie mal unter normalen Umständen zu sehen. Eigentlich weiß sie auch, dass seine Mutter nicht da sein wird, weil sie in einer Entzugsklinik liegt, um sich daran zu gewöhnen, ohne Alkohol zu leben. Eigentlich weiß sie, dass es jetzt im Haus nicht mehr eklig riechen wird.
Und trotzdem würde sie am liebsten wegrennen.
»Hallo, Elisa.«
Joram hat sie so erschreckt, dass sie kurz schreien muss.
»Alles okay?«, fragt er besorgt.
Elisa nickt. »Junge, Junge. Hi.«
»Hi.«
Sie lächeln sich nicht an. Sie spannen nur wieder eine magische Blickschnur.
Und dann, wie auf Kommando, drehen sie sich zum Bungalow um.
Keiner rührt sich. Der Wind zerzaust ihnen die Haare und heult ein wenig ums Haus, ansonsten ist es sehr still.
»Du hattest recht«, sagt Joram plötzlich und steckt die Hände tief in seine Jackentaschen.
»Womit?« Elisa sieht zu ihm rüber.
Eine Strähne wirbelt ihm kreuz und quer über die Stirn, als könnte sie sich nicht entscheiden, wo sie liegen bleiben soll.
»Mit Max und B-O.« Joram streicht die Strähne zurück, aber sie macht sich sofort wieder frei. »Du hast doch gesagt, dass B-O irgendwie Max’ Mutter heilen würde, weißt du noch?«
»Klar.«
Joram zieht die Schultern hoch. »Geheilt ist sie zwar noch nicht, aber dass sie in die Klinik gegangen ist, hängt mit B-O zusammen. Glaub ich.« Er dreht den Kopf zu Elisa. »Allerdings hat das mit dem kosmischen Plan nichts zu tun. Es gibt eine ganz logische Erklärung.« Elisa sagt ihm nicht, dass Logik und der kosmische Plan sich nicht widersprechen. Sie sagt nur: »Was für eine Erklärung denn?«
Joram versucht wieder, die Strähne zu bändigen, aber es klappt nicht. Er holt tief Luft. »Ich hab mir ein Buch besorgt. Über Alkoholismus. Und da stand drin, dass man einen Alkoholiker niemals dazu kriegen kann, anderen zuliebe mit dem Trinken aufzuhören. Sie schaffen es nur, wenn sie es für sich selbst wollen. Und dazu …«, er stockt, »… dazu müssen sie an ihren tiefsten Punkt kommen.«
Der Wind kriecht Elisa in die Jackenärmel. Und genauso eisig kriecht ihr die Erinnerung an Max in den Sinn, wie er mit dem Eimer in der Tür stand, um das Erbrochene seiner Mutter aufzuwischen. Elisa schaudert. »Wo ist denn der tiefste Punkt?«, fragt sie leise.
Joram sieht sie dunkeläugig an. »Weiß ich auch nicht genau.«
Während sie schweigen, wird die Blickschnur dicker und dicker. Was auch immer Papa Pauls tiefster Punkt gewesen wäre – er hat ihn nicht mehr miterlebt. Elisa zuckt zusammen, als Joram plötzlich weiterspricht.
»Max hat sich ja immer um alles gekümmert. Um sich selbst, um das Haus, aber vor allem halt um seine Mutter. Und als B-O dann kam, hatte er weniger Zeit für sie. Er hat ihr nicht mehr mit allem helfen können. Und da …«
»… musste sie sich selbst helfen?«
Joram zuckt mit den Schultern. »Könnte doch sein, oder?«
Elisa nickt. »Ja, könnte sein.«
Dann erfolgt wieder das stumme Kommando, und sie sehen beide zum Bungalow rüber. Eine kräftige Bö kommt auf und weht Elisa so stark von hinten an, dass sie ein Schrittchen nach vorn trippelt. Der Wind scheint zu fragen, worauf sie denn eigentlich noch warten.
»Ich hab Bauchflattern«, sagt Joram. »Bekloppt, oder?«
»Es ist dein erster Besuch bei deinem besten Freund.« Elisa lächelt ihn an. »Da find ich Bauchflattern ziemlich okay.«
Das Lächeln, mit dem er jetzt zurücklächelt, ist so jorammäßig, dass Elisas Bauch gleich mitflattert von dem Gefühl, ihn so gut zu kennen.
»Tür oder Fenster?«, fragt sie und grinst.
Joram bleibt todernst und tut so, als würde er darüber nachdenken. »Ich bin für … Tür.«
»Einverstanden.«
Sie hören leise die Klingel schrillen, als sie auf den Knopf drücken. Dann hören sie leise die Klingel schrillen, obwohl sie nicht mehr auf den Knopf drücken.
»Hä?«
»B-O«, flüstert Elisa.
Im nächsten Moment geht die Tür auf, und Max steht mit einer Schürze um den Bauch vor ihnen.
»Hi!«
»Hi.«
»Hi.«
»Kommt rein.«
Im Hausflur ist es hell, alle Zimmertüren
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