Vier auf dem Laufsteg
früher oder später - wahrscheinlich eher früher - von irgendeiner anderen Agentur entdeckt worden. Warum also zitterte ihre Hand, als sie die Tür aufstieß, auf der in schwungvollen rosa Lettern der Name Fierce prangte?
Fierce residierte in großen weißen, glänzenden Räumen, für die der liebe Gott wohl eigens Meister Proper erfunden hatte. Hin und wieder durchbrach ein rosa Sofa den extremen Minimalismus. Aber viel erschreckender waren die Menschen. Abgesehen von einer Irren, die in einem Ballkleid aus Taft herumstolzierte, trugen alle betont coole Klamotten in diesem kunstvoll nachlässig zusammengewürfelten Stil, der Laura nach zwölf Wochen Modeaufnahmen bei Supermodel nur zu vertraut war.
Männlich, weiblich oder was auch immer - alle hatten die androgyne Uniform aus verwaschenen Röhrenjeans, verblichenen T-Shirts mit Retro-Aufdruck und dunklen Sneakers an. Und alle trugen Headsets und bellten in ihre Mikros.
»Ludmilla macht keine Bademode mehr. Jedenfalls nicht für diese Gage...«
»Willst du Clara B oder Clara C? Oder Kara P?«
»Das hat viel mehr Kraft als seine letzte Kollektion. Die Sachen sind irgendwie urban und gleichzeitig in Richtung Fantasy. Als würde ›Erinnerungen einer Geisha‹ auf die Arctic Monkeys treffen, verstehst du?«
Ungeschickt klemmte Laura ihre Fotomappe zwischen die Knie, damit sie in ihrer Handtasche nach der E-Mail suchen konnte, die sie ausgedruckt hatte und die ein gewisser Nawiehießerdochgleich geschickt hatte …
»Ich bin Heidi«, sagte eine ausdruckslose Stimme hinter ihr.
Als Laura sich erschrocken umdrehte, landete ihre Mappe mit einem dumpfen Knall auf dem Holzboden. Bei dem verzweifelten Versuch, sie aufzufangen, gelang es ihr, auch noch ihre Handtasche auf Heidis Füße fallen zu lassen.
Das Einsammeln von verstreuten Tampons und fleckigen Kugelschreibern war wohl kaum geeignet, einen guten Eindruck zu machen. Laura hatte von Heidi bisher nur ihre japanischen Turnschuhe gesehen, die einen ungeduldigen Rhythmus auf den Boden klopften.
Das ließ nichts Gutes ahnen.
Als Laura endlich aufstand, eine kuliverschmierte Hand ausstreckte und »Hey, ich bin Laura« sagte, schenkte ihr Heidi nur einen säuerlichen Blick. Ihr Lächeln war ein kaum wahrnehmbares Dehnen ihrer Gesichtsmuskeln. »Ich weiß.«
Sie war eins dieser unglaublich dünnen Mädchen, die Laura während der Supermodel -Show oft beim Bügeln der Kleider oder Assistieren der Fotografen oder Verfassen von Pressemeldungen gesehen hatte. Als würde eine Fabrik in New York diese Modemädels am Fließband produzieren. Ihre glatten braunen Haare saßen perfekt geschnitten wie eine zipfelige Mütze, sie trug eine knallgelbe Weste und eine derart zerfledderte Jeans, dass sie nur aus einer superexklusiven Nobelboutique stammen konnten.
Lauras Outfit aus schwarzer Hüfthose und Spitzenkorsage war ja vielleicht in Manchester hip, hier in London jedenfalls definitiv nicht. Es schrie förmlich »Ich lass mich modisch von meiner Mutter beraten« - vor allem für eine übercoole Trendsetterin wie Heidi.
Laura hatte gedacht, dass Heidi sie in einen Raum führen würde, wo sie sich zusammensetzen, sich ein bisschen kennenlernen und eine globale Karrierestrategie planen könnten, wobei sie natürlich zu Busenfreundinnen würden. Stattdessen zeigte Heidi auf eins der quietschrosa Sofas.
»Also die U-Bahn ist echt irre«, hörte Laura sich sagen. »Erst denkt man, es geht alles ganz einfach immer geradeaus, aber dann sind da dauernd diese Abzweigungen und Ausgänge und man hat null Ahnung...«
»Ja, echt irre«, wiederholte Heidi, als wäre ihr das so was von egal. »Mappe.«
Mit geübter Schnelligkeit blätterte sie durch die Fotos, die bei den wöchentlichen Fotoshootings des Supermodel -Wettbewerbs entstanden waren.
»Hm. Von denen können wir vielleicht drei brauchen«, war ihr Resümee.
Während sich Laura noch von diesem Tiefschlag erholte, bemerkte sie, dass sie mit entnervender Intensität gemustert wurde.
»Na ja, du hast zumindest eine gute Haut. Und deine Augen sind toll, aber du musst dir die Haare schneiden lassen, die behindern deine Mimik. Und in diesen Klamotten kannst du nicht zu Terminen gehen.«
»Aber Daisy und Magnus - das war der Creative Director bei Supermodel - haben gesagt, wir sollten immer was Schlichtes anziehen, damit wir die Blicke nicht von unseren Gesichtern ablenken«, widersprach Laura mit einem Hauch von Gekränktheit. Hatte Heidi sie mit einem anderen Mädchen
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