Vier Fäuste für ein blaues Auge: Wie der Wilde Westen nach Deutschland kam (German Edition)
eher selten nach entlaufenen Haustieren gefragt, ja ich argwöhne sogar, dass sie ganz generell kaum zu irgendwelchen Fragen konsultiert wurden, außer vielleicht: »Wo waren Sie am 13.04. in der Zeit zwischen zehn und zwölf?« und »Haben Sie dafür eine Waffenbesitzkarte?«.
Also wurde die Frage nach dem Verbleib des Kanarienvogels als eine Art freche Verarsche gesehen und entsprechend beantwortet, indem man dem Das Hemd mit dem Messer ein Auge ausstach. Das erschwerte die Suche nach dem Vogel zusätzlich, und er wurde nie wiedergefunden.
Dafür hatte Das Hemd nun ein Glasauge, und wäre es nicht zu makaber, könnte man fast annehmen, dass er regelrecht dankbar war für diesen zusätzlichen Showeffekt.
So falsch ist das gar nicht. Er hat’s schon gerne mal rausgenommen, um damit die Leute ein bisschen zu schocken.
Ich weiß … ich weiß das sehr genau …
Ich durfte sein Glasauge auf der Theke des Saloons mehrfach bestaunen, sosehr ich auch versuchte, es zu vermeiden. Denn Das Hemd hatte ein regelrecht perfides Geschick entwickelt, es immer in Momenten herauszupfriemeln, in denen man wirklich nicht damit rechnete. »Pok«, schon lag es wieder vor einem, und man starrte entweder auf das Glasauge oder in die leere Augenhöhle vom Das Hemd. Beides bereitete ihm diebische Freude, und entsprechend oft wandte er diese Technik der kalkulierten Destabilisierung auch an.
Ich glaub ja, dass er deswegen auch immer so viele Frauen rumgekriegt hat.
Weil er sein Glasauge rausnahm? Wo ist da der erotisierende Faktor, bitte?
Na ja, Mitleid vielleicht. Ich hab immer gesagt: »Hemd, irgendwann stech ich mir auch ein Aug aus.«
Blöd, wenn es sich dann gar nicht als der entscheidende Faktor herausgestellt hätte.
Auf jeden Fall hat Das Hemd immer genau die Frauen abgeschleppt, auf die alle anderen scharf waren.
Vielleicht hatte er noch eine andere Strategie?
Ich glaube ja, der hat die einfach blöd gequatscht.
So einfach geht das?
Für ihn anscheinend schon.
Eine der ersten Der-Das-Hemd-Anekdoten, die man mir angedeihen ließ, war die Sache mit der Schwarzfußindianerin. Es muss sich hierbei laut Aussage verschiedenster Quellen um das hübscheste, begehrenswerteste Mädchen diesseits des Rio Bravo gehandelt haben, denn die meisten Sätze in dieser eigentlich recht überschaubaren Anekdote gingen immer dafür drauf, die junge Frau zu beschreiben.
Die war schon wirklich brutal hübsch.
Ich weiß, du hast es mir mehrfach …
Ich kann die gar nicht direkt beschreiben, es ist einfach …
Heinz, ich weiß.
Nein, weißt du nicht. Die war wie, ich weiß nicht, ich hab noch nie so ein hübsches Mädchen gesehen gehabt. Die war so um die 22 Jahre alt und so was von dermaßen schön, also das war schon fast abartig.
Heinz, bitte halt an dich.
Du hast keine Ahnung.
Aber ich bekomme langsam eine basische Vorstellung, danke.
Machen wir es kurz, damit wir weiterkommen. Das Mädchen kam in des Heinzens Trading Post in der Dreimühlenstraße, der Heinz ließ den Das Hemd mit dem Mädchen kurz alleine, und als er zurückkam, waren die beiden verschwunden. Er ging hoch in die Wohnung, und dort rammelte Das Hemd gerade das schönste Mädchen der Welt auf dem Bärenfell vor dem Kamin.
Auf meinem Bärenfell.
Ich finde, danach hätte es sein Bärenfell sein müssen.
Hm, irgendwie hast du recht. Ich hab’s danach auch entsorgt.
Aber wie hat er das geschafft, Heinz? Wie hat er sie so verdammt schnell rumgekriegt?
Er hat sie schwindlig geredet.
Verbale K.-o.-Tropfen?
So was, ja.
Der Das Hemd redete wirklich wie ein Wasserfall, in einer hohen Geschwindigkeit und nahezu ununterbrochen. So lange, bis er hatte, was er wollte. Einmal machte ich den Fehler, in seine Trading Post zu kommen, die er als Zelt auf einem Event aufgebaut hatte, wo wir auch mit dem Red Grizzly Saloon standen. Wenige Minuten später hatte ich einen sündhaft teuren Hut gekauft, außerdem eine Hose, die farblich genauso wenig zu dem Hut passte wie von der Weite her um meine Hüften, Hosenträger, wie ich sie in Farbe und Form bereits besaß, und dazu noch einen kleinen Haken aus Messing, den man irgendwo annähen konnte, falls man sich mal was an die Klamotten hängen wollte … Ich könnte schwören, dass die Sache mit dem Haken wirklich Sinn gemacht hatte, als Das Hemd es mir beschrieb. Jetzt stand ich da mitten auf dem Platz, die Hände voller Zeug, auf dem Kopf zwei Hüte und in der Tasche einen kleinen Messinghaken, dessen Sinn sich mir nicht
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