Vier Jungs auf einem Foto (German Edition)
Jedenfalls ist bei dir das eine die Kehrseite des anderen.«
»Was willst du damit sagen?«
»Du bist ein typischer Zwangscharakter. Wie du die Klassenarbeiten deiner Schüler korrigierst. Wie du deine Wohnung putzt. Tausend Sachen, mir fallen sie grad nur nicht alle ein. Dein Schlafzimmerschrank, zum Beispiel. Dein ganzes Leben. Immer schön ordentlich, immer schön höflich. Und weißt du, warum du so bist?«
»Sag’s mir.«
»Weil irgendwo in deinem Kopf eine Stimme sagt, dass du nur für Ordnung sorgen musst, nur richtig planen, und schon wird alles gut. Verstehst du?« Mauricio sieht Ruso an, als wolle er ihn mit aller Gewalt auf seine Seite ziehen. »Du glaubst, dass du die großen Dinge in den Griff kriegst, wenn du nur die kleinen richtig anpackst! Was Schwachsinn ist. Aber du tust so, als wär es die absolute Wahrheit. Zwangscharaktere wie du sind unerträglich.«
»Und du? Was bist du?«
»Lenk nicht vom Thema ab. Ich hatte gerade einen brillanten Gedanken.« Er sieht erst Fernando an, dann Ruso, mit einer Begeisterung im Blick, die für Ruso etwas Ungesundes hat. »Deine Zwanghaftigkeit ist ein Akt des Glaubens. Durch sie hat die Welt für dich eine Ordnung. Und Regeln. Wenn du dich nur an diese Regeln hältst, wird alles gut, dann werden alle glücklich und zufrieden.«
»Du hast sie ja nicht mehr alle.«
»Wenn jemand sie nicht mehr alle hat, dann du. Seit Mono tot ist, triezt du uns wegen diesem Pittilanga, dabei weißt du ganz genau, dass es völlig sinnlos ist. Fakt ist, dass Mono einen Riesenscheiß gebaut hat, dass er die Kohle zum Fenster rausgeschmissen hat, dass er ein Idiot war, dem das Geld schon durch die Finger geglitten ist, bevor er es überhaupt angefasst hat.«
»Jetzt hör aber auf, Mauricio«, wirft Ruso ein.
»Einen Scheiß werd ich tun. Außerdem bist du der Letzte, der mir sagen darf, ich soll mich über Geld nicht aufregen. Du bist nämlich genauso schlimm oder noch schlimmer. Der Unterschied, Ruso, ist nur, dass du dein ganzes Leben lang ein armer Schlucker warst, während Mono auch mal Glück hatte. Aber launisch und unreif, wie er war, musste er ja alles in dieses schwachsinnige Projekt stecken und Spielervermittler werden. Was wusste er schon von diesem Geschäft? Was konnte er davon wissen? Nichts! Und du, Ruso, du hast ihn noch darin bestärkt, statt ihn zu bremsen, du hast ihn angefeuert, statt ihm den Kopf zu waschen. Und weißt du, warum? Weil du es selber für eine Superidee gehalten hast. Und du, Fernando, du hast ebenfalls keinen Finger gerührt. Statt den guten Samariter zu spielen, hättest du ihn lieber stoppen sollen. Aber Mono war ja unantastbar. Befehl ist Befehl.«
»Was für ein Befehl?«
»Tu nicht so blöd. Wenn dein kleiner Bruder eine Idee hatte, dann war deine Mutter sofort Feuer und Flamme. Während du immer um ihre Aufmerksamkeit buhlen musstest. Du wolltest dazugehören, aber du hast es nicht. Nie.«
Ruso kneift die Augen zusammen. Er spürt die Katastrophe nahen.
»Was mischst du dich da überhaupt ein? Was zwischen mir und meiner Mutter ist, geht dich einen Scheiß an«, brüllt Fernando plötzlich los.
Aus den Augenwinkeln sieht Ruso, dass der Kellner, der sie gut kennt, drauf und dran ist, sie zur Ruhe zu ermahnen.
Doch statt zurückzubrüllen, seufzt Mauricio nur. Sein Kopf ist knallrot vor Wut, aber er hat sich wieder im Griff.
»Du hast Recht, Fernando, du hast vollkommen Recht«, sagt er mit ruhiger Stimme. »Ich sollte mich da nicht einmischen. Ich hab dir schon viel zu lang die Stange gehalten.«
»Wie es aussieht, haben wir die Geduld dieses Herrn überstrapaziert«, sagt Fernando an Ruso gewandt. »Ich an deiner Stelle würde mich bei ihm entschuldigen.«
»Lass Ruso aus dem Spiel. Er hat nichts damit zu tun.«
»Dann geht es also nur um uns beide.«
»Ganz genau. Ruso ist so gutmütig, dass er dir jeden Quatsch durchgehen lässt. Und du nutzt das aus.«
»Ich nutze ihn aus? Ich glaub’s ja nicht!«
»Glaub, was du willst. Auf mich brauchst du jedenfalls nicht mehr zu zählen.«
»Das ist ja nichts Neues. Wenn’s drauf ankam, konnte man sich auf unseren Herrn Doktor noch nie verlassen.«
Mauricio schnaubt wütend. »Ich hab die Schnauze gestrichen voll, Fernando. Wenn du dir weiterhin einbildest, dass die Wirklichkeit sich nach deinen Wünschen richtet, statt sie so zu akzeptieren, wie sie ist, bitteschön. Aber mich lass damit in Ruhe. Du bist doch derjenige, der ständig Ideen aus dem Hut zaubert, du bist doch der
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