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Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Titel: Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Clair
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Turm hielt. Unsere Vorgänger hatten uns erklärt, dass die Dixie-Toiletten vor Ort leergepumpt und anschließend desinfiziert würden. Stattdessen versuchten diese Männer nun, die Toiletten auf ihren japanischen Kleinlaster aufzuladen. Als eine der Toiletten umkippte und der Inhalt sich über den Hof ergoss, fiel es mir schwer, meinen Wachauftrag weiter wahrzunehmen. Der kleine braune See breitete sich fünf Meter unter mir aus und verursachte nach wenigen Sekunden einen beißenden Geruch in der Mittagssonne.
    Als endlich alle Toiletten aufgeladen waren und die Arbeiter durch das Tor rumpelten, dachte ich darüber nach, ob wir die Dixie-Häuschen bei ihrer Rückkehr nach Bomben durchsuchen müssten.
    Du, schau dir das an!, rief TJ und riss mich aus meinen Gedanken.
    Ich blickte durch ein Fernglas in die gezeigte Richtung und sah, wie die Arbeiter die Toiletten in einiger Entfernung in einem Graben leerten.
    Einige Stunden später verursachte eine Meldung helle Aufregung unter allen Anwesenden. Ein Informant hatte sich im Feldlager gemeldet und einen bevorstehenden Angriff auf die Höhen oder das Polizeihauptquartier angekündigt, und zwar binnen der nächsten achtundvierzig Stunden. Ab sofort waren alle in ständiger Alarmbereitschaft. Muli ließ uns nur noch mit Helm Wache auf dem Turm halten. Das ständige Beobachten war ermüdend. Hinlegen, Augen schließen, Wecker und aufstehen. Wache halten. Hitze ertragen. Dunkelheit meistern.
    Mit jeder Fußpatrouille ließ der Chef uns weiter vom Polizeihauptquartier weggehen. Mit jeder Patrouille legten wir mehr von unserer Scheu ab, mit jedem Stiefeltritt wurden wir sicherer. Unser Kompaniechef war immer dabei, wollte sich selbst ein Bild verschaffen. Meistens schickte er den Golf Zug an die Spitze, Mü wiederum schickte Golf eins an die Spitze des Zuges und Muli mich an die Spitze von Golf eins. So war ich oft der Erste, der irgendwo hinging. Mich freute das, ich hatte damit absolut kein Problem. Einerseits hasste ich es, mich auf einem Marsch in eine lange Schlange von Soldaten einzureihen; andererseits war ich stolz darauf, dass Muli mir diese Aufgabe zutraute. Die Augen offen halten, überlegen, was gemeldet werden sollte und was nicht. Mica, Hardy, Muli und TJ waren dicht hinter mir, Nossi, Jonny, Simbo, Wizo, Dolli, Butch und Russo gleich im Anschluss. Oft wollte sich der Chef einen Überblick verschaffen, wollte Menschen ansprechen, die wir unterwegs trafen. Viele waren es nicht, und auch immer nur Jungen oder ältere Männer. Einmal sah ich eine verschleierte Frau, die bei unserem Anblick ihre Kinder eilig hinter eine Tür schob und diese verschloss.
    Die kleinen Dörfer entlang der sandigen Hauptstraße wurden schnell zum gewohnten Bild für uns. Lehmhütten, Arbeiter auf den Feldern, die nur kurz aufschauten, wenn sie uns sahen. Kinder, die uns zuwinkten, Männer auf der Straße, die uns misstrauisch beäugten. Müll am Straßenrand, frisch aufgewühlte Erde, Misstrauen auf beiden Seiten. Die Augen offen halten. Immer konzentriert sein. Ich rechnete ständig mit einem Angriff. Oder einem Sprengsatz. Nichts geschah. Anschläge schienen immer nur woanders zu passieren.
    Trotzdem verließen wir uns nicht auf die scheinbar sicheren Straßen. Regelmäßig musste die Sandpiste vor dem Polizeihauptquartier nach Sprengsätzen abgesucht werden. Unsere Vorgänger hatten uns irre Geschichten von tagelangen Suchaktionen erzählt, wobei die deutschen Kampfmittelbeseitiger den Boden Stück für Stück mit der Harke und dem Metalldetektor absuchen mussten. Wir hatten deutlich günstigere Umstände, da wir von amerikanischen Kampfmittelbeseitigern unterstützt wurden. Diese hatten ein paar gewaltige Fahrzeuge zur Verfügung, die mit Sensoren und Walzen ausgestattet waren und die Arbeit erheblich schneller erledigten.
    An diesem Abend fing ich an, jeden Tag SMS zu verschicken, meistens an meine Freundin. Fünfzig Cent und ein kleiner Gruß. Papier hatte ich auch dabei. Ich schrieb gerne. Ein handgeschriebener Brief erschien mir als etwas Besonderes. Manchmal legte ich noch eine kleine Zeichnung dazu, Landschaft, Karikatur, irgendwas. Es war mir wichtig, mein Leben mit den zu Hause Gebliebenen zu teilen. Ich betrachtete den Brief, den ich von meiner Freundin bekommen hatte und den ich immer bei mir trug. So als könnte ich die Heimat greifen, wenn ich einen Brief in den Händen hielt. Ich bekam jedes Mal einen Kloß im Hals.
    Am nächsten Tag sollten wir mit frisch reparierten

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