Vierbeinige Freunde
sein langer schlohweißer Bart hängt ihm bis auf die Brust. Nikita arbeitet bis zum heutigen Tage bei den Raubvögeln und läßt auch heute noch, sobald der Sommer beginnt, den Kondor zum Spaziergang heraus.
In würdevoller Haltung und ohne sich zu beeilen, begibt sich der Kondor dann zu seinem ständigen Platz: Er schlägt mit seinen riesigen Flügeln, fliegt über die Umzäunung und setzt sich auf denselben Hügel, auf dem er schon so viele Jahre zugebracht hat. Er sitzt, ohne sich zu rühren, mit ausgebreiteten Flügeln da. Und wenn die Sonne untergehen will, schreitet der Kondor zurück zum Käfig, den er schon seit sechzig Jahren bewohnt.
DER VIELFRASS
Eines Tages, im Vorfrühling, wurde ein Vielfraß in den Tiergarten gebracht. Er ähnelte einem riesigen Marder, war dunkelgraubraun und hatte ein langhaariges struppiges Fell. Das Einfangen von Vielfraßen ist sehr schwierig, denn sie leben im tiefsten Taigadickicht, gehen erst nachts auf Jagd und klettern äußerst gewandt von Baum zu Baum, obwohl man sie dein Aussehen nach für ungeschickt halten könnte.
Zunächst besah sich der Vielfraß sehr eingehend den Käfig. Nachdem er festgestellt hatte, daß ein Entrinnen unmöglich war, verkroch er sich in einen Winkel und kam nicht einmal dann heraus, wenn man ihm Futter vorlegte.
In diesem Winkel verbrachte der Vielfraß ganze Tage. Dort lag er, zu einem Knäuel zusammengerollt, und machte einen wilden, finster-mürrischen Eindruck. Kam ein Besucher dem Käfig zu nah, dann brüllte er zornig, und dabei leuchteten seine Augen auf wie grünliche Feuer.
So benahm sich der Vielfraß am Tage; abends aber, wenn der letzte Besucher fortgegangen war, kroch er aus seinem Winkel. Mit weichen und geräuschlosen Sprüngen warf er sich im Käfig hin und her, zerrte am Gitter oder grub die Erde mit seinen Krallen auf.
Das Gitter hielt jedoch stand, und unter der Erdschicht befand sich ein Fußboden aus Zement. Dennoch suchte das Tier Nacht für Nacht aus dem Käfig zu entkommen.
Der Vielfraß fraß wenig und wurde so mager, als bekäme er überhaupt nichts zu fressen.
So verstrichen mehrere Wochen, da änderte das Tier plötzlich sein Verhalten.
Der Vielfraß lag nicht mehr in seinem Winkel, sondern warf sich beständig hin und her, als wäre er aus irgendeinem Grunde beunruhigt. Er scharrte bald hier, bald da kleine Gruben, sammelte weiche Spreu und breitete sie dort aus.
Plötzlich wurde er durch irgend etwas aufgeschreckt, scharrte wieder an einer anderen Stelle und schleppte die Spreu in die neue Grube.
Dieses Gebaren konnte sich anfangs niemand erklären. Aber dann kam uns die Erleuchtung: Der Vielfraß war ein Weibchen, das wahrscheinlich in Kürze Junge bekommen würde und deshalb einen Platz für sein Lager suchte.
Im Käfig wurde nun ein geräumiges Häuschen aufgestellt, das wie eine Hundehütte aussah; innen war eine Zwischenwand eingebaut, damit der Wind nicht hineinwehen konnte.
Aber das Häuschen gefiel dem Vielfraß gar nicht. Es ähnelte nicht im geringsten seiner Höhle, wo er in Freiheit gehaust hatte.
Nach langem Suchen richtete sich das Vielfraßweibchen schließlich ein Lager unter dem Häuschen ein. Es grub eine nicht allzugroße Vertiefung und legte sie mit seinen Haaren aus. Einige Tage später war von dort das Quieken der Jungen zu vernehmen.
Das Vielfraßweibchen verließ seine Knirpse so gut wie gar nicht. Es lag neben ihnen, pflegte, fütterte und wärmte sie und leckte sie sorgfältig ab; ihre Härchen waren stets flauschig und sauber. Das Weibchen verließ sein Lager nur dann, wenn es Futter holte. Es ergriff das Fleisch, das ihm der Wärter hingeworfen hatte, und eilte damit zu seinen Jungen. An seine Freiheit dachte es nicht mehr. Eines Tages hatte der Wärter vergessen, die Tür hinter sich zu schließen. Aber sogar diese Gelegenheit zur Flucht nutzte das Vielfraßweibchen nicht aus.
Die kleinen flauschigen Jungen lagen stets dicht nebeneinander. Wenn die Mutter kam, hoben sie ihre stumpfen Schnäuzchen und drängten sich nahe an sie heran: Sie hatten Hunger.
Die Knirpse waren wohlgenährt, ihre Mutter dagegen magerte ab. Man gab ihr so viel Fleisch, daß es für einen Wolf gereicht hätte, aber sie fraß fast gar nichts. Alles, was sie bekam, brachte sie ihren Kindern.
Man setzte sie in einen anderen Käfig und legte Fleisch vor sie hin; die Mutter strebte aber zurück zu ihren Kindern.
So verstrichen ungefähr zwei Monate. Die Knirpse krochen schon aus ihrem Lager
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