Vierbeinige Freunde
Er kannte die Grenze, jenseits derer sie ihm unerreichbar waren, und er täuschte sich nie. Er hatte sich auch hier nicht getäuscht.
Nur ein Zufall rettete den Wärter. Dadurch, daß er zu stark an der Kette riß, wurde der Wolf zurückgeschleudert. Zwar sprang er sofort auf und wiederholte seinen Angriff, doch der Wärter hatte Zeit gehabt zurückzuweichen. Argo hatte ihm nur den Hemdkragen zerfetzt.
Am neuen Ort
Nach diesem Vorfall wurde Argo mit Lobo und der Wölfin Dikarka auf die Raubtierinsel gebracht. Diese Raubtierinsel glich so gar nicht den engen, dunkeln Käfigen im alten Teil des Parkes. Die geräumigen, von Sonne überfluteten Terrassen, das Gras, die Bäume und der breite Wassergraben an Stelle eines Gitters – das alles schuf eine Atmosphäre der Freiheit.
Am neuen Ort nahm sich der finster blickende, starke Argo sofort sein Recht. Niemand außer ihm durfte an mich heran, niemand sich als erster ein Stückchen Fleisch nehmen. Er war der Anführer des kleinen Rudels auf diesem kleinen Stück Land, auf dem ein eigenes Freiheitsgesetz herrschte.
Interessant war das Verhältnis der dort geborenen Jungwölfe zu mir. Sie waren völlig wild, kannten niemanden, und es war gefährlich, mit leeren Händen zu ihnen hineinzugehen. Dank Argo aber ging ich dort frei ein und aus. Er ließ die Wölfe nicht an mich heran; kam mir einer dennoch zu nahe, so stürzte er sich auf ihn und biß ihn.
Argo – der Filmstar
Von allen Wölfen war Argo der schönste und stärkste. Wenn für Kinoaufnahmen ein Wolf gebraucht wurde, fiel die Wahl immer auf Argo. Seine erste Bekanntschaft mit dem Kinoapparat machte Argo im Winter auf dem Teich des Zoologischen Gartens.
Eine Wolfsjagd sollte dargestellt werden. Rings um den Teich war eine Leine mit roten Fähnchen gezogen. Das sollte eine Falle für die Wölfe sein, wie man sie bei richtigen Jagden anzuwenden pflegt. Wölfe und Füchse haben große Angst vor Fähnchen. Ihre Angst ist so groß, daß sie sich nicht entschließen können, darüber hinwegzusetzen, um zu entkommen. Das benutzen die Jäger, holen sie ein und erlegen sie.
Als alle Vorbereitungen getroffen waren und der Kameramann auf einem sicheren Platz saß, ging ich, um Argo zu holen. Von weitem schon hörte er das Klirren der Kette. Er spitzte die Ohren und fiepte in der Vorfreude auf den Spaziergang. Ich nahm ihn fest an die Kette, und er folgte mir schweifwedelnd.
Wir kamen zum Teich. Ich ließ ihn frei und trat zur Seite. Argo schlug freudig mit dem Schweif, sprang ein Stück weg und forderte mich, indem er sich auf die Vorderpfoten duckte, auf, mit ihm zu spielen. Da knatterte der Apparat los. Der unbekannte Ton lenkte sofort die Aufmerksamkeit des Wolfes auf sich. Er sprang auf, spannte, legte bald das eine, dann das andere Ohr scheu zurück und zog unruhig witternd die Luft in die Nase. Es war ein schönes Bild: Die scharfen Umrisse des kraftvollen grauen Wolfes auf dem weißen Schnee, wie er vorsichtig-angespannt seine Pfoten setzte, jeden Augenblick bereit, beiseite zu springen oder zuzupacken. Es war gerade das, was für den Film gebraucht wurde.
Der weitere Verlauf des Filmes sollte den Kampf eines Wolfes gegen angreifende Jäger und gegen die Leine mit den Fähnchen darstellen, Argo aber blieb hartnäckig an meiner Seite und näherte sich nicht der Leine. Da überschritt ich die Fähnchengrenze, ging noch ein Stückchen weiter und rief Argo zu mir.
Und da geschah das Unerwartete: Wie ein Hund nahm Argo Anlauf, setzte über die „unpassierbare Linie“ und kam zu mir. Die Jagdregel war gebrochen. Hinter dem Aufnahmeapparat wurde das verstörte Gesicht des Kameramannes sichtbar. Die Aufnahme mußte noch einmal gemacht werden.
Diesmal ging ich an den Fähnchen entlang und klatschte in die Hände. Argo kam bald auf mich zu, bald sprang er von mir weg. Das Ziel war erreicht. Der Kameramann war begeistert, er versicherte, daß sich der vierbeinige Schauspieler als viel verständiger erwiesen habe als mancher zweibeinige.
Nach diesem ersten Male wirkte Argo noch in vielen Filmen mit. Er hatte sich schnell an das Geräusch des Apparates gewöhnt, beachtete es gar nicht mehr und löste folgsam alle Aufgaben. Dagegen zählte er den Mann, der die Kurbel drehte, zu seinen ärgsten Feinden. Er benutzte jede Gelegenheit, seine Wut an der Hose des Kameramannes auszulassen, mehr als einmal war dieser gezwungen, sich vor den schrecklichen Reißzähnen des „Filmstars“ auf einen Baum zu retten.
Ich war
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