Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt
mit Würstchen“. Mein
Lieblingsgericht wird es nicht
Dienstag, am 11. März
Von A l theim nach Ulm
Die Landschaft ist flach und eintönig. Riesige Ackerfelder dehnen sich bis zum Horizont. Die
Bauern nutzen das sonnige Wetter und sind fleißig bei der Arbeit: Sie eggen
oder bringen Gülle auf die Felder. Ich bin kein Fachmann, aber ich kann mir
nicht vorstellen, daß der Boden so viel von dieser stinkenden Brühe braucht,
wie hier ausgebracht wird. An manchen Stellen wird, wenn der Güllewagen
vorbeirollt, aus dem nach den Regenfällen getrockneten Ackerboden wieder ein
morastiger Sumpf.
Durch die gestrige Bahnfahrt und die
darauf folgenden zwei langen Tagesmärsche bin ich früher in Ulm als geplant.
Rita kommt erst übermorgen am Nachmittag. Ich werde also in Ulm zwei Tage
verbringen können. Oder müssen? Eigentlich bin ich jetzt ganz gut in Schwung,
von mir aus würde ich hier keine Pause machen.
Mittwoch, am 12. März
In Ulm
Die langen Strecken, die ich in den
letzten zwei Tagen gelaufen bin, haben mein linkes Knie
etwas überfordert. Ich bin nachts mehrmals vom Schmerz wach geworden.
Nachdem ich mich umgezogen habe,
besuche ich die Altstadt und dort als erstes das Münster. Ich bin noch nie in
Ulm gewesen, und von dem Münster habe ich wohl die falsche Vorstellung, daß es
im wesentlichen erst im vorigen Jahrhundert erbaut wurde. Solche spät
„vollendeten“ Bauwerke interessieren mich nicht besonders; aber wenn ich schon
hier bin, will ich mal die fünf Minuten nehmen und kurz reinschauen.
Im ersten Augenblick fühle ich mich von
dem großartigen, majestätischen Raum ganz und gar überwältigt. Ich stehe in
einem unbeschreiblich schönen Raum, über den nur die allergrößten Kirchen
gotischen Stils verfügen, weit und hoch, klar in seiner Gliederung, den Blick
magnetisch nach oben ziehend. Die unfaßbare Breite ist in fünf Schiffe geteilt,
wobei das Mittelschiff etwa dreimal so hoch wie breit ist. Der anschließende
Chor, der älteste Teil der Kirche, ist niedriger als das Hauptschiff und wirkt
mit seinen bunten alten Glasfenstern wie ein Schmuckkästchen. Durch die enge
Jochstellung sind die niedrigeren Seitenschiffe vom Mittelschiff optisch
relativ stark getrennt. Sie haben mit ihren schlanken Mittelsäulen ihre eigene
leichte Räumlichkeit.
Ich setze mich hin und staune.
Plötzlich fängt die Orgel an zu spielen. Ein wahrer Könner trägt Variationen
von Chorälen vor. Ich merke, wie mir vor Glück die Tränen über die Wangen
rollen. Gott, ich danke Dir, daß ich hier sein und das erleben darf. Du hast
mir Augen zum Sehen, Ohren zum Hören und ein Herz zum Lieben geschenkt. Ich
danke Dir dafür!
Beim Hinausgehen kaufe ich mir ein
Heftchen, in dem ich nachlesen kann, daß das Münster um 1500 weitgehend fertig
gebaut und eingerichtet war. In den späteren Zeiten wurde relativ wenig um- und
angebaut, so z.B. die obere Hälfte des Turmes, aber der Bau selbst, sowie
Chorfenster und Chorgestühle, Kanzel und Tabernakel, alles ist wunderbare alte
Gotik. Ich gelobe, in Zukunft mit meinen Vorurteilen vorsichtiger umzugehen,
besonders wenn sie in falschen Informationen gründen.
Nachmittags schlendere ich zum
Donauufer hinunter, setze mich auf eine sonnige Parkbank und schaue mir die
Spaziergänger, die spielenden Kinder und die Frauen in ihren Frühlingskleidern
an. Es ist schön hier, warm und ruhig, etwas für alte Männer. Ausgeruht gehe
ich durch die alten Gassen des Fischerviertels, ein Stadtteil zwischen Münster
und Donau, durch den ein kleiner Fluß, die Blau, fließt. Die engen Straßen, die
alten Häuser und die Brückenstege über dem Flüßchen haben ihren
mittelalterlichen Charakter behalten. Sie geben mir die Illusion, in die Zeit
vor vierhundert Jahren zurückversetzt zu sein.
Erst am Abend merke ich, wie müde ich
doch geworden bin. Auch mein Knie schmerzt wieder. Zeit, ins Bett zu gehen.
Donn erstag, am 13. März
In Ulm
Kurz und schlecht geschlafen, und ich
weißnicht einmal, warum. Ist es die Aufregung über die
Ankunft von Rita, auf die ich so sehr warte? Andererseits merke ich, daß diese zwei
Tage in Ulm und auch ihr Besuch eine Zäsur, eine Störung auf meinem einsamen
Weg bedeuten.
Den Tag lasse ich wie Sand zwischen den
Fingern zerrinnen. In einem Café lese ich die Zeitungen durch, damit ich in
großen Zügen mitkriege, was so in der Welt passiert. Nun, viel habe ich
anscheinend nicht verpaßt, die Nachrichten sind weiterhin schlecht,
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