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Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Titel: Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: János Kertész
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mit einer Spezialgarnierung: Sauerkraut und Spätzle vermischt
und in Bratfett geschwenkt; dazu ein guter Würthtemberger; ein schöner Abschluß
für den Tag.
     
     

Sonntag, am 16. März
In Biberach an der Riß
    Nachts bin ich mit starken Kopfschmerzen aufgewacht, es ist erst gegen Morgen besser
geworden. So bin ich in der Frühe alles andere als munter und nach dem Frühstück
könnte ich wieder schlafen gehen.
    Auch die allgemeine Wetterlage ähnelt
der meinen: Nachts hat es geregnet, es ist feucht, grau, und unangenehm kalt.
Gut, daß wir heute nicht laufen müssen, da Rita nachmittags nach Hause fährt.
Wir verbringen den Vormittag in einem Café. Der über mir schwebende
Abschiedsschmerz läßt sich kaum ignorieren. Es wird fast zwei Monate dauern,
bis wir uns in Cahors, wie geplant, wiedersehen.
    Die letzten Sekunden am Bahnhof sind
von der Hektik des Einsteigens und der Suche nach einem Platz erfüllt. Ein
letzter trauriger Blickkontakt durch die nicht zu öffnende Fensterscheibe, und
schon fährt der Zug los. Ich verlasse den Bahnhof schnell und geschäftig, als
hätte ich es eilig, dabei will ich nur vermeiden, daß die herumstehenden
Menschen meine Tränen zu sehen bekommen.
    In der Jugendherberge bekomme ich ein
schönes Zimmer, es hat einen Tisch mit Stühlen, an den Wänden hängen Bilder,
und an den Kopfenden der Betten stehen Leselampen; ein Komfort, den ich noch in
keiner der Jugendherbergen angetroffen habe.

Montag, am 17. März 1997
Von Biberach an der Riß nach Bad Waldsee
    Es geht aneinem
Bahndamm entlang, links die Bahntrasse, rechts das Ried, eine breite
Feuchtwiesenfläche. Hier sehe ich die ersten Schlüsselblumen in diesem Jahr.
Auch die Holunderbüsche an der Bahn entlang zeigen schon ihr zartes Grün.
    Auch die zweite Hälfte der heutigen
Strecke ist schön. Es ist nicht die atemberaubende kalenderblattgemäße
Schönheit, sondern die stille, friedliche bäuerliche Augenweide, die ich so
liebe. Die Wege, die zwischen Wiesen und Feldern und vorbei an kleineren
Waldstücken in die Weite streben, sind über den niedrigen Hügeln und seichten
Senkungen wie mit einer Feder hingezeichnet. Die kleinen Siedlungen, eher
größere Einzelhöfe, wie sie hier in dem weiten, grünen Grasmeer stehen,
erinnern mich an die Halligen. Um die Häuser stehen viele Apfelbäume. Wir sind
im Mostland angekommen.
    In Michelberg, auch so eine
Fünfhäusersiedlung, ist ein alter Mann dabei, die Bäume zu schneiden. Wir grüßen
uns und er sagt noch etwas, was ich wegen seines starken Dialekts erst nicht
verstehe. Ich muß nachfragen. „Wohl schwer beladen?“ soll es, auf meinen
Rucksack bezogen, geheißen haben. Woher, wohin? Ich sage, daß ich ein
Jakobspilger bin, aus Kassel komme und bis nach Spanien laufe, wenn Gott es so
will. Ich lobe die Schönheit des hiesigen Landes und beneide ihn, wie er nach
sichtlich zufriedenem Rundblick mir beipflichtet. Ja, es ist wahrlich sehr
schön hier!
    Ich erkundige mich nach der Sorte und
Art der Äpfel, die auf den gutgeformten Apfelbäumen wachsen. Ja, sagt er, das
sind schöne Bäume mit guten Mostäpfeln. Er hat sie nur so nebenbei zum
Vergnügen. Ob ich mal den Most probieren möchte? Aber freilich will ich ihn
probieren!
    Wir gehen zum Haus. Ein sauber
aufgeräumter Hof, Kuhstall, Schweinestall, vor der Eingangstür an der
Sonnenwand ein Holzbank, wo ich mich erst meiner Last entledige, bevor wir uns
hinsetzen. Mein Gastgeber erzählt, daß er eine Rente bekommt und den Hof nur
noch aus Freude bewirtschaftet, einen Erwerb kann man es nicht nennen, leben
könnte er davon jedenfalls schon lange nicht mehr. Er ist neugierig, will
wissen, ob ich Frau und Kinder habe, welchen Beruf ich gelernt habe und zu
welcher Religion ich zugehörig bin. Offensichtlich bestehe ich den Test und so
können wir zum nächsten Punkt kommen. Er zeigt mir sein Vieh, erst die etwa ein
Dutzend schönen, sauberen, munteren Milchkühe. Sie stehen im Stroh, nicht auf
Beton, wie heute üblich. Sie haben es hier sichtlich gut. Dann kommen die Schweine.
Eine riesige Sau mit etwa zehn Ferkeln und genau so viele schlachtreife
Jungschweine, auch sie auf Stroh gehalten, sauber und freundlich neugierig. Ich
könnte die possierlichen Tiere streicheln! Mein Lob kommt tief aus meinem
Herzen!
    Dann geht er in den Keller hinunter und
holt einen Maßkrug voll Apfelwein. Erst probiere ich pur, dann trinke ich gegen
den Durst mit Mineralwasser. Es ist lange her, daß mir ein Getränk so gut
schmeckte!
    Dann

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