Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Titel: Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: János Kertész
Vom Netzwerk:
machen!
     
     

Freitag, am 7. März
Von Kirchberg an der Jagst nach Steinbach an der Jagst
    Kirchberg an der Jagst ist an diesem
Morgen in dichten Nebel gehüllt, aber als ich von dem Berg, auf dem die
Herberge steht, in das Tal hinabsteige, bricht der Nebel auf, und wie durch
einen Zauber erscheint auf dem gegenüberliegenden Bergrücken im pastellfarbenen
Morgenlicht die romantische Stadt mit dem spitzen Kirchturm.
    In den nächsten zwei Stunden folge ich
dem Wanderweg, der an der Jagst entlangläuft. Der Fluß hat sich in
Jahrmillionen tief in die Ebene eingegraben. Bei der Suche nach
Durchflußmöglichkeiten wurde er zu vielen Windungen gezwungen. Die steilen
Hänge des an manchen Stellen schluchtähnlichen Tales sind dicht bewaldet.
    Bevor das Tal beim Baiertesstein in
eine unpassierbare Schlucht übergeht, steigt der Wanderweg wieder aus der Tiefe
hoch, und damit bin ich innerhalb von fünf Minuten in einer anderen Landschaft:
weitläufiges Ackerland, eine stark befahrene, tosende Autobahn, die
Naturschönheiten sind also für heute zu Ende.
    Der Rest des Weges ist weniger
attraktiv: Landstraßen und Fahrradwege durch Dörfer und vorbei an Crailsheim,
bis nach Steinbach an der Jagst, meinem Tagesziel. Die Sonne hat sich in der
Zwischenzeit hinter finsteren Wolken verzogen. Über dem flachen Acker pfeift
ein schneidend kalter Ostwind. Ich könnte meine vor drei Tagen nach Hause
geschickten Handschuhe gut gebrauchen.
     
     

Samstag, am 8. März
Von Steinbach an der Jagst nach Schwabsberg
    Als ich um9 Uhr
starte, ist es zwar noch sonnig, aber von Osten ziehen graue Nebelschwaden auf.
Kaum eine halbe Stunde später ist es dunkel, grau und eiskalt. Soll das etwa
das Frühlingswetter sein, das meine Wirtin mir heute früh versprochen hat?
    Auch die Fortsetzung des gestrigen
Weges ist wenig begeisternd. Es ist hier kein Wandergebiet, es fehlen die
geeigneten Wege. Erst laufe ich an einem Bahndamm entlang, danach an der
Landstraße, wo recht starker Verkehr herrscht. Erst bei Schweighausen, wo die
Autoroute das Tal verläßt, gibt es wieder einen Radweg, der den Fluß begleitet.
Auch die Landschaft ist hier hübscher als zuvor, aber es ist kalt und neblig;
von der Schönheit dieses Winkels ist nicht viel zu sehen.
    Südlich von Rindelbach verlasse ich das
Tal, um die auf einer östlichen Bergnase thronende, weit sichtbare
Wallfahrtskirche Schönenberg zu besuchen. Eine steile Lindenallee, mit fünfzehn
Rosenkranzkapellen gesäumt, führt zu der zweitürmigen, wuchtigen gelben
Barockkirche. Ich könnte wieder an Wunder glauben: Just als ich am unteren Ende
dieser Allee ankomme, lösen sich die Wolken, und das helle Bauwerk erstrahlt
triumphierend in der Nachmittagssonne.
    Oben angekommen, eröffnet sich vor
meinen Augen eine großartige Aussicht auf die Stadt und Burg Ellwangen. Die
noch immer etwas diesige Luft und das Gegenlicht lassen die Türme der Stadt,
eher graphisch als plastisch, wie einen Scherenschnitt erscheinen. Dieses in
milchige Farben getauchte Panoramabild macht mich rundum zufrieden.
    Die am Anfang des 18. Jahrhunderts
erbaute Wallfahrtskirche ist nicht „barockisiert“, sondern wurde barock
geplant, barock gebaut und ist barock geblieben. Der mit weißen Stückarbeiten
geschmückte helle Raum steht im positiven Kontrast zu dem in dunklen Farbtönen
gehaltenen Hochaltar, der dadurch als der wichtigste Ort des sakralen Raumes
betont und herausgehoben wird. Ich setze mich hin und verspüre dasselbe Gefühl
der Dankbarkeit wie gestern früh in Kirchberg. Welch’ ein großes Privileg ist
mir zuteil geworden, diese Reise machen zu dürfen!
    Auch Ellwangen hat eine ganze Reihe von
hübschen Barockbauten. Das Zentrum der Stadt wird von der Stiftskirche
gebildet, das im Lauf der Jahrhunderte mit weiteren Kirchen und mit Amts- und
Stiftsherrenhäusern ergänzt und erweitert wurde. Die Stiftskirche ist eine
barockisierte romanische Basilika, wobei die so unterschiedlichen
Stilrichtungen glücklicherweise nicht vermischt worden sind, sondern die
Außenansicht ist romanisch geblieben, der Innenraum dagegen wurde vollständig
im Barockstil umgestaltet. An der Nordseite der Basilika ist ein gotischer
Kreuzgang mit einer Kapelle angebaut, später im 18. Jahrhundert noch eine
weitere Barockkirche, die ehemalige Jesuitenkirche, die 1803 durch herzogliches
Dekret den evangelischen Gläubigen überlassen wurde. Mich beeindruckt diese
frühe friedliche Koexistenz der beiden großen christlichen Religionen.
    Von

Weitere Kostenlose Bücher