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Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Titel: Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: János Kertész
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zusammengewachsen sind.
    Bourgoin-Jallieu ist eine große graue
Stadt. Sie hat eine gotische Kathedrale, die einzige Sehenswürdigkeit.
    Ich finde ein Zimmer und nach der
täglichen Ankunftsroutine, wie Duschen und Wäschewaschen, setze ich mich vor
einer Bar, trinke meinen Wein und freue mich über den schönen Nachmittag.
Könnte es sein, daß die Stadt doch schöner ist, als ich beim Ankommen
wahrgenommen habe?

Freitag, am 18. April
Von Bourgoin-Jallieu nach St-Georges-d ’ Esperanche
    Auchheute ist
es meine erste Aufgabe, aus dem Tal hinaus zu kommen. Eine schmale,
kurvenreiche Straße bringt mich nach Maubec hoch. Am Dorfeingang ist ein Mann
dabei, die Hecke zu schneiden.
    „Bonjour, monsieur!“ grüße ich ihn.
    „Bonjour, monsieur! Bon courage!“
antwortet er. Der Tag geht gut an. Oben breitet sich unter der riesigen blauen
Himmelswölbung dasselbe flache, weite Land aus wie schon an den vergangenen
Tagen. Wiesen wechseln sich mit Äckern ab. Mir fällt auf, daß die Felder zwar
gepflügt sind, aber eine Saat hat man nicht in die ausgedörrte Erde gebracht.
Ich stochere mit meinem Wanderstock an den Schollen: Sie sind hart wie Granit.
    An einem Waldrand freue ich mich über
den ersten blühenden Ginster meiner Reise. Die trockene Grasfläche wird an
einer Stelle von einer Wasserader durchzogen. Hier ist der Bewuchs üppig grün
und damit gut geeignet, mir als frischduftendes Bettlager für einen
Mittagsschlaf zu dienen. Ich lege mich hin, und lausche dem freudigen Gesang
der Vögel, die die am Rand der Wiese wachsenden Büsche bevölkern. Eine dicke
Hummel kommt laut brummend vorbei, dreht über mir einige Begrüßungsrunden, aber
ich scheine ihre Neugier schnell zu befriedigen: Sie fliegt weiter. Es ist
schön hier. So macht die Pilgerei richtig Freude!
    Die kleinen Ortschaften, die ich auf
dem weiteren Weg passiere, bestehen meistens nur aus einigen wenigen Häusern.
Immer öfter sehe ich Lehmbauten, die mit Geröllsteinzuschlag zwischen
Schalungen erstellt worden sind. Die freigewaschenen, in Muster gelegten Steine
geben der Sichtfläche der konglomeratartigen Mauer ein dekoratives Aussehen.
    Fast in jedem Hof werden mehrere Hunde gehalten.
Sie laufen nicht frei herum, sondern sind in der Regel in Zwingern eingesperrt
und dementsprechend giftig. Meistens sind es Jagdhunde mit hängenden Ohren,
aber auch die deutschen Schäferhunde sind häufig vertreten. Wenn ich an den
Höfen vorbeilaufe, regen sich diese Tiere dermaßen auf, daß sie kaum Luft
bekommen und nicht mal richtig bellen, nur röcheln und heulen können. Menschen
zeigen sich dabei so gut wie nie. Ich bedauere die armen Kreaturen, diese
Schöpfungen der krankgewordenen Tierliebe.
    Hier sehe ich auch die ersten
Maistrockner. Sie sind denen in Ungarn ähnlich: sechs bis sieben Meter hoch,
etwa einen Meter breit, und bis zu dreißig Meter lang. Der Grundgestell ist aus
Holz oder Stahl, die „Wände“ aus Holzlatten oder Maschendraht. Die meisten
dieser Behälter sind noch mit der vorjährigen gelben Ernte prall gefüllt.
    Die letzten zwei Kilometer muß ich
wieder steigen: Mein heutiges Tagesziel, St-Georges-d’Esperanche, liegt auf
einem Hügel. Das Gasthaus in der Mitte des Dorfes finde ich schnell. Das Zimmer
ist einfach und überhaupt nicht preiswert, aber eine Auswahl habe ich auch hier
nicht.
     
     

Samstag, am 19. April
Von St-Georges-d ’ Espéranche nach Vienne
    Als ich aufdie
Straße hinaustrete, werde ich von dem herrlichsten Wanderwetter empfangen, das
ich mir vorstellen kann: wolkenloser, blauer Himmel, aber die Luft ist eher
frisch als zu warm.
    Am Wochenende findet hier eine Kirmes
statt. Eine mit etwa fünfzehn Jugendlichen besetzte und mit Laub und Blumen
dekorierte einsame Kutsche, die von einem Traktor gezogen wird, rollt auf der
Straße hin und her. Die mitfahrenden junge Leute, die sich mit Strohhut
uniformiert haben, versuchen mit Trillerpfeifen und mit lautem Rufen und Singen
Stimmung zu erzeugen, aber es bleibt bei diesem rührigen Versuch. Die übrigen
Bewohner des Ortes wollen von diesem vermeintlichen Spektakel keine Notiz
nehmen.
    Auf dem Festplatz am Bachufer werden
die Fahrgeschäfte aufgestellt: ein Karussell, eine Schiffsschaukel, eine
Schießbude und einige Verkaufsstände, wo Süßigkeiten feilgeboten werden. Das
ist schon alles. Bei mir drängt sich die bange Frage auf, worauf die im
hiesigen Ortsnamen erwähnte „Hoffnung“ (espérance) sich gründet. Gott soll’s mir verzeihen, aber ich
würde hier

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