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Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Titel: Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: János Kertész
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angezogen lege ich mich ins Bett,
weil ich mich vor der Decke ekele.

Sonntag, am 20. April
Von Vienne nach Chavanay
    Ich packe schnell zusammen und verlasse in Eile diese Stätte des Grauens. Draußen ist es
grau und kühl, aber der Regen hat aufgehört.
    Ich will, wie die Rhône, nach Süden.
Leider ist es nicht möglich, am Ufer entlang weiter zu kommen, da dort eine
vierspurige Autobahn verläuft, wodurch die Stadt vom Wasser getrennt ist. Ein
städtebaulicher Irrsinn! Man stelle sich Paris ohne die Seine oder London ohne
die Themse vor!
    Der Verkehr wird dann allmählich
stärker: Ich laufe auf der parallelen Ausfallstraße, an der weder ein Fußweg,
noch ein Bankett vorhanden ist und versuche, wo es geht, auf den Grasstreifen
neben der Fahrbahn auszuweichen, aber an manchen Stellen ist nicht einmal dies
möglich. Dann hilft nur das Hoffen, daß mich keiner überfährt. Die
Straßenböschung ist mit Müll bedeckt: Flaschen, Getränkedosen, leere
Chipstüten, Papier, Zigarettenschachteln, Kleidungsstücke, fast flächendeckend.
Sogar ein dreibeiniger Gartenstuhl und ein zerbrochener Autospoiler haben hier
ihre Endstation gefunden.
    Ich komme zu einem Verkehrsknotenpunkt,
an dem mein Weg sich mit einer vierspurigen Nationalstraße, einer Eisenbahnlinie
und einer Autobahn verflechtet wie in einem altmodischen Mädchenzopf. Ich
bleibe stehen und bin ratlos. Wie komme ich hier als Fußgänger weiter? Auch
wenn ich es wagen würde, die vierspurige Straße zu überqueren, dahinter steht
eine Schallschutzwand, die mir den Weg versperrt. Eine verflixte Situation!
    Plötzlich kommt ein Jogger gelaufen. Er
springt über die Leitplanke, läuft über die Straße, läßt sich dabei von den
Autofahrern anhupen, und an der anderen Straßenseite verschwindet er in einer
schmalen Öffnung der Schallschutzmauer. Nichts wie hinterher! So komme ich auf
einen Bauernhof, dann auf das Privatgrundstück eines ehemaligen
Bahnwärterhäuschens, und schon bin ich am Rhôneufer angekommen! Hier gibt es
sogar einen Fußpfad!
    Leider ist der Pfad nach etwa einer
Stunde zu Ende. Ich muß wieder die verkehrsreiche Autoroute benutzen, die den
schmalen Uferstreifen mit der Eisenbahn teilt. Züge donnern in jeder zweiten
Minute vorbei, daneben Autolärm, wie auf der Autobahn. Das Laufen ist hier einfach
ungenießbar.
    Nach zwölf Kilometern, in Les
Roches-de-Condrieu, mache ich bei einem Bootshafen, wo viele vornehme
Motoryachten liegen, eine kurze Pause. Ich bin müde, und so entsteht mein
Wunsch, anstelle weiter zu laufen hier ein Zimmer zu suchen, und mich
auszuschlafen. Ganz wohl fühle ich mich mit dieser Entscheidung allerdings
nicht: Ich habe heute kaum etwas geleistet, eigentlich dürfte ich noch nicht
haltmachen. So bin ich nicht traurig, als ich erfahre, daß beide Gasthäuser in
diesem Ort geschlossen sind.
    Nebenbei möchte ich hier erwähnen, daß
nach meiner Beobachtung nur die einfacheren Gasthäuser „geschlossen“ sind. Die
vornehmeren sind in den gleichen Fällen „ausgebucht“. Das ist höhere
Geschäftspsychologie. Also weiter. Das nächste Hotel finde ich kaum eine Stunde
weiter, in St-Claire-du-Rhône. Von dem Haus stehen nur die Außenwände: Es wird
umgebaut.
    Ich entdecke an der andere Straßenseite
ein Hinweisschild mit Hotelbett-Pictogramm und dem Schriftzug: „ Gîte
de France 5 km“ . Ich habe keine Ahnung, was ein Gîte ist, aber ich werde es bald erfahren.
    In St-Alban-du-Rhône finde ich das
gesuchte Haus. Es ist ein gutaussehendes Bauernhaus, das für Ferienzwecke
umgebaut wurde. In dem großen Garten blüht der süß duftende Jasmin. Unter einem
großen Kirschbaum sind einladende, weiße Gartenmöbel, wie für mich hingestellt.
Hier bin ich richtig, hier will ich bleiben!
    Ich klingele, dann rufe ich, erst
leise, dann laut... Kein Mensch zeigt sich.
    Nachdem ich etwa eine Viertelstunde
gewartet habe, gehe ich zum Nachbarhaus und frage, ob sie wüßten, wo die
Hausherren der benachbarten Unterkunft sind. Der gefragte Herr meint, sie
müßten zu Hause sein, sie gingen praktisch nie weg, ich solle noch einmal
klingel und im Zweifelsfall ein wenig warten.
    Ich warte über zwei Stunden. Es kommt
niemand. So setze ich meinen Weg enttäuscht aber ausgeruht fort.
    Der Nordwind, der mich seit heute früh
begleitet, verstärkt sich. Südlich von mir, in kaum zwei Kilometer Entfernung,
wachsen die riesigen Türme eines Atomkraftwerkes in die Höhe. Ob es begründet
ist oder nicht, will ich hier gar nicht erörtern,

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