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Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Titel: Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: János Kertész
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aber für mich sind diese
monströsen Betonmassen ungewöhnlich, fremd und bedrohlich. Ich denke noch: Wie
gut, daß der starke Wind aus Norden nach Süden bläst. Wenn der Reaktor, während
ich hier laufe, in die Luft fliegt, wird der radioaktive Staub von mir
weggeweht. Eine kindlich-naive Vorstellung, aber etwas beruhigenderes fällt mir
im Moment nicht ein.
    Ich überquere die Rhône bei Chavanay
und werde vom Wind fast von der Brücke geblasen. Ich bin müde und hungrig, mein
Tagespensum habe ich auch geschafft; ich will schnell ein Zimmer finden und
duschen.
    Der relativ große Ort hat zwei Hotels.
Beide sind geschlossen. Die nächste Möglichkeit, eine Unterkunft zu finden, soll
in Condrieu bestehen. Das liegt sechs Kilometer weit, aber in Richtung Vienne,
also rückwärts!
    Jetzt reicht’s mir aber!!!
    Ich bin wütend, kaum fähig zu denken.
Dieses Pennerdasein kann ich kaum noch ertragen! Wenn ich den regen
Sonntagsverkehr betrachte, der durch das Dorf fließt, fühle ich mich aus der
menschlichen Gesellschaft ausgestoßen. Auf alle diese Menschen, Auto- oder
Motorradfahrer, die an diesem Spätnachmittag nach Hause streben, wartet
irgendwo ein Bett, das sie nicht suchen müssen. Bei mir wächst sich dieses
Problem um die Unterkunft langsam zu einem quälenden Trauma aus!
    Ich lasse das zur Routine gewordene
Suchprogramm ablaufen: Ich frage in den Kneipen, in Restaurants, auch die
Passanten, denen ich begegne... Nichts zu machen. Es ist zum Schreien!
    Ich besteige den Bus und fahre nach
Vienne zurück. Dort nehme ich das teuerste Zimmer der Reise. Eine Absteige wie
gestern könnte ich heute nicht ertragen.
     
     

Montag, a m 21. April
Von Chavanay nach Bourg-Argental
    Ich bin an meinem moralischen
Tiefstand angelangt. Dieses tägliche Affentheater mit der Unterkunft entmutigt
mich in einem Maß, das ich mir so gar nicht vorstellen konnte. Ich habe kein
anderes Ziel mehr, als möglichst schnell nach Le Puy zu kommen. Die Hoffnung,
daß ich ab Le Puy eine für Fußwanderer bessere Infrastruktur vorfinden werde,
ist die einzige Kraft, die mich noch auf diesem Weg hält und weiterlaufen läßt.
Glücklicherweise sind es nur noch vier bis fünf Tage dahin, sonst weiß ich
nicht, wie ich es schaffen sollte, mich auf dieses Problem seelisch
einzustellen. Naturschönheit, Baudenkmäler, nette Menschen..., ich nehme sie
kaum noch wahr. Mich beschäftigen nur noch zwei Fragen. Erstens: wann ich diese
knochenquälenden Asphaltstraßen verlassen darf und mindestens zeitweise Feld- oder
Waldwege benutzen kann; und zweitens: wann das Problem der Bettsuche ein
erträgliches, gewöhnliches Maß annimmt.
    Mein Bus, mit dem ich von Vienne nach
Chavanay zurückfahre, kommt erst um 11 Uhr, so habe ich genug Zeit, im Minitel
nachzuschauen, wo ich heute Abend schlafen kann. Ich nehme mir vor, bis
Bourg-Argental zu laufen. Dort gibt es fünf Hotels, die Wahrscheinlichkeit,
dort Zimmer zu bekommen, ist also ziemlich groß. Es ist schon fast Mittag, als
ich den Weg wieder aufnehme. Bis St-Pierre-de-Boeuf muß ich die starkbefahrene
Uferstraße nehmen. Danach geht es rechts, nach Südwesten, in die Berge hinein.
Die schmale Landstraße durch Maclas und St-Julien-Moulin-Molette steigt bis zu
dem 654 Meter hohen Paß Col du Banchet, um kurz danach mein Tagesziel zu
erreichen. Ich befinde mich am Rand des weit ausgedehnten Naturparks Parc du
Pilat, zu meiner Rechten erheben sich die hohen, bewaldeten Berge. Hier unten,
wo die Straße entlangführt, wechseln sich Wiesen mit kleineren Waldflächen ab.
Der gestrige Nordwind bläst nach wie vor. Im Windschatten ist es, wo die Sonne
hinscheint, richtig warm; wo es windig und schattig ist, kann ich meine dicke
Jacke gut ertragen.
    Auf den Autoverkehr brauche ich heute
nicht zu achten: Wegen einer Straßenbaustelle ist die Straße für Fahrzeuge
gesperrt. Trotzdem kommt bei mir keine gute Laune auf. Ganz um Gegenteil: Ich
verspüre den immer stärker werdenden, mich quälenden Wunsch, mir Gewißheit
darüber zu verschaffen, wo ich heute abend schlafen kann. In Zeiten, in denen
ich mich psychisch stark fühle, wäre diese Frage überhaupt kein Problem. Jetzt
kann ich diese Unsicherheit nicht ertragen. Ich müßte versuchen, telefonisch
Zimmer zu bestellen.
    Wie ich bereits erwähnte, spreche ich
sehr wenig französisch, und bei der Kommunikation benötige ich auch die Hände
und Füße. Da beim Telefonieren gestikulieren wenig nützt, habe ich immer
jemanden darum gebeten, für mich

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