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Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Titel: Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: János Kertész
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Seit etwa einer Woche benutze ich fast ausschließlich Landstraßen, und wenn ich
auf der Karte meinen weiteren Weg studiere, versprechen auch die nächsten Tage
nichts Gutes. Ich finde zu diesen Autorouten keine Alternative.
    In Deutschland gab es fast überall
bezeichnete Wanderwege, die sich angeboten haben. Hier gibt es wenige
Wanderwege, und die laufen entweder auf die Berge hoch, wo ich nichts zu suchen
habe, oder in eine falsche Richtung. Auch meine wiederholten Versuche, die
Landstraße zu verlassen und auf Feldwegen eigene Verbindungen zu suchen, sind
ohne Ausnahme mit einem Fehlschlag geendet. Entweder haben die in Frankreich
allgegenwärtigen Weidenzäune meinen Weg versperrt, oder diese Wege sind
Zubringer für Einzelhöfe gewesen, wo es nicht mehr weiterging.
    V/o ich in Deutschland keinen Wanderweg
gefunden habe, gab es, als Alternative, überall in den Tälern Fahrradwege.
Frankreich ist zwar ein Radlerland par
excellence, aber Radwege gibt es hier nicht. Alle Radfahrer benutzen
die Landstraßen, wo überall und zu jeder Tages- und Jahreszeit die permanente
„Tour de France“ stattfindet. Offensichtlich haben die Radfahrer und Autofahrer
sich aneinander gewöhnt. Die Gruppen von drahtigen alten Männern, die in bunter
Rennbekleidung keuchend an mir vorbeihuschen, gehören zum normalen Straßenbild.
Die Mehrheit dieser Radfahrer würde es als unter ihrer Würde betrachten,
Radwege, auch wenn sie vorhanden wären, zu benutzen. Übrigens werde ich von den
Radfahrern als Wesensverwandter akzeptiert: Sie grüßen mich immer wieder sehr
freundlich, wenn sie vorbeifahren.
    Der Weg selbst verläuft quer durch
kleine Dörfer und vorbei an Einzelhöfen durch friedliches Weideland. Die Kühe
betrachten mich neugierig, kommen zum Zaun gelaufen, um mich zu begrüßen, und
begleiten mich so weit, wie die Zäune es erlauben. Sie schauen traurig und
enttäuscht hinter mir her, als ob sie etwas Gutes von mir erwartet hätten, was
ich ihnen vorenthalte.
    La Tour-du-Pin ist eine Kleinstadt mit
siebentausend Einwohnern. Nachdem ich mich gewaschen und etwas ausgeruht habe,
laufe ich eine kleine Runde in der Stadt. Viel ist nicht zu sehen. So kehre ich
bald in mein Zimmer zurück und gehe früh schlafen.
     
     

Donnerstag, am 17. April
Von La Tour-du-Pin nach Bourgoin-Jallieu
    Das Tal,das
nach Westen weiterführt, ist dicht besiedelt. Neben einer starkbefahrenen
Eisenbahnlinie und einer Nationalstraße ist die Autobahn Chambery-Lyon der
Hauptgrund dafür, warum ich so wenig Lust habe, unten im Tal zu laufen. Ich
weiche lieber auf die höher liegende nördliche Ebene aus, wo schmale Wege mir
mehr Ruhe versprechen.
    Der etwa zweihundert Meter
Höhenunterschied ist schnell geschafft. Oben erwartet mich ein ähnliches
Weideland, wie ich es gestern erlebte: hügelige weitläufige Wiesen mit langen
Pfostenreihen von Weidezäunen, deren Ende in der grauen nebligen Feme
entschwindet. Auch hier sind die Kühe neugierig. Ich bin für sie eine Art
Sehenswürdigkeit, die sie selten erleben. Es ist kalt heute. Die bleiernen
tiefhängenden Wolken schauen auf eine licht- und schattenlose Welt herunter.
    Die Erde ist staubig und steinhart,
aber der langerwartete Regen wird, trotz dichter, dunkler Wolken, auch heute
nicht eintreffen: Von Westen her nähert sich schon das Himmelsblau.
    Vor Ruy, wo neben kleinen Weinhängen
häufig bäuerliche Lehmbauten, Stallungen, Scheunen und alte Wohnhäuser zu sehen
sind, senkt sich die schmale Straße wieder in das Tal. Inzwischen ist es so
warm geworden, daß ich mich auf einer trockenen Wiese hinlegen und ausruhen
kann. Die gütige Sonne wärmt mich, ich genieße das friedliche Bild, das sich
mir ringsum bietet und wundere mich, wie schnell meine Stimmung sich doch
ändern kann. Ich schließe meine Augen und schaue den merkwürdigen Fäden zu, die
an der Innenseite meiner Augenlider ihr lautloses Zeitlupenballett vorfuhren.
    Aus einem unerklärlichen Grund fällt
mir plötzlich mein Vater ein. Ich würde so gern mit ihm darüber sprechen, wie
es ist, im Gras zu liegen und dieser Kavalkade der Fadenpferdchen zuzuschauen.
Ob er sich je darüber Gedanken gemacht hat? Ich werde es leider nie erfahren:
Er ist vor vierundzwanzig Jahren gestorben, ohne daß wir vorher je über etwas
Wesentliches miteinander gesprochen hätten.
    Ich erreiche die ersten Häuser von Ruy.
Ab hier ist es noch etwa eine Stunde bis noch Bourgoin-Jallieu, dauernd im
Stadtgebiet, da die beiden Orte praktisch

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