Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt
Arbeit geleistet. Alle Einrichtungen aus den Kirchen, die nicht
einzuschmelzen oder anders zu verwerten waren, wurden hinausgeschmissen,
zerschlagen, verbrannt, da sie für die neue Bestimmung der Kirchen, im besten
Fall Versammlungsraum, oft aber als Lagerhalle oder Viehstall, nutzlos gewesen
wären. Auch die Steinfiguren hat man zertrümmert, und die nicht zu entfernen
waren, denen hat man mindestens die Gesichter abgeschlagen. Der heilige Josef
als feudaler Blutsauger, Eva als Volksfeindin..., na klar doch, daß man sie
zerstört hat!
Ich setze den Weg fort, aber bald merke
ich, daß dieses unaufhörliche Windgebläse mich doch mehr auslaugt, als ich
dachte; so biege ich nach Dumières ab, um dort eine Bleibe für die Nacht zu
suchen.
Am Dorfeingang befindet sich ein großes
Sägewerk. Durch den Wind ist die Luft mit Sägemehl gesättigt: Mir brennen die
Augen, und was ich ausspucke, könnte man zu Spanplatten verarbeiten.
Das einzige Hotel, das in der
Hotelliste aufgeführt ist, und das ich mir ausgesucht habe, steht zwar noch,
aber die Türen und Fenster sind vernagelt; ich sehe auch niemanden, der mir
sagen könnte, wo das nächste Gasthaus zu finden ist. Also weiter.
Ich habe Glück: Kurz hinter dem
Dorfausgang steht ein Hotelneubau. Ich merke, wie der Mann in der Rezeption
mich und mein Outfit prüfend anschaut und sich fragt, ob ich den geforderten
Preis bezahlen kann, aber ich bestehe diese Prüfung und bekomme ein schönes
Zimmer. Das Bad hat sogar eine richtige Badewanne, und so kann ich nach neun
Wochen wieder ein Vollbad nehmen. Liebe Leute, es gibt noch Freude im Leben!
Ich könnte nur unanständige Vergleiche ziehen!
Mittwoch, am 23. April
Von Dunières nach Yssingeaux
Nach einer Stunde erreiche ich Montfaucon-en-Velay. Es ist Wochenmarkt.
Hauptsächlich Obst und Gemüse sowie eine Vielfalt von Käsesorten werden
feilgeboten. Die Bistros am Marktplatz sind gefüllt mit Standbetreibern, die
sich von der Kälte zurückzogen haben, um sich hier bei einem Gläschen Wein warm
zu diskutieren. Kaffee trinkt außer mir kaum jemand, und Croissants zum Kaffee
muß ich mir selbst aus der benachbarten Bäckerei holen.
Es wird langsam wärmer und, obwohl die
öde Autostraße durch eine wenig anregende Landschaft führt, mit der Temperatur
steigt auch meine Stimmung. Trotz aller Widrigkeiten der letzten zwölf Tage, es
geht voran. Die Sorgen, die mich von Zeit zur Zeit plagen, gehören
offensichtlich zu einer solchen Reise, genau so wie die wonnigen Augenblicke.
Ich begehe meinen inneren subjektiven Weg, zu dem die reale, objektive Route
nur als notwendige und bestens geeignete Grundlage dient. Jeder andere würde
auf derselben Strecke einen anderen Weg gehen: seinen eigenen Weg. Sogar ich
selbst würde morgen hier einen anderen Weg vorfinden.
Bei Pralong ist Zeit für den
Mittagsschlaf. Ich lege mich in Windschatten im die warme Sonne, höre den
Lerchen zu und wundere mich darüber, aus welchen Quellen so ein kleiner Vogel
die Kraft schöpft, so lange in der Luft zu wirbeln, und dabei pausenlos
zwitschernd so einen Riesenspektakel zu veranstalten.
Kurz danach überquere ich auf einem
hohen Viadukt den Fluß le Lignon. Vor der Brücke steht, auf einem Felssporn
malerisch plaziert, eine alte Kapelle, die dem Dörflein davor den Name gibt: La
Chapellette. Tief unten im Tal ist eine alte Steinbrücke zu sehen, die noch die
Römer erbaut haben. Schon in der Römerzeit verlief hier die Verbindungsstraße
zwischen den Flußtälern der Rhône und der Loire.
Die letzten, steil nach oben führenden
fünf Kilometer auf der Landstraße mit viel Verkehr sind auch geschafft: Ich
komme nach Yssingeaux. Auch ein Zimmer finde ich. Danach besichtige ich kurz,
was hier zu sehen ist: eine barockisierte Kirche, eine Stadtburg, die jetzt als
Rathaus dient, und eine kleine romanische Kapelle. Damit sind die
Hauptsehenswürdigkeiten auch schon aufgezählt.
Ich kann im Ganzen zufrieden sein: Ich
bin gesund, das Wetter könnte nicht besser sein, und morgen abend bin ich in Le
Puy. Ich hoffe, dort nimmt das Asphaltlaufen ein Ende.
Donnerstag, am 24. April
Von Yssingeaux nach Le Puy-en-Velay
Bevor ich in LePuy, wie ich hoffe, von den Autorouten Abschied nehmen kann, ist der heutige
Weg als letzte Hürde zu nehmen: ein streckenweise besonders stark befahrenes
Straßenstück. Die aus St-Etienne nach Le Puy führende Route N 88 ist vierspurig
ausgebaut. Dementsprechend ist sie für Wandergesellen und Fußpilger zum Laufen
denkbar
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