Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)
erwähnt heißt auch Lena selbst nicht Lena. Ich habe ihr diesen Namen gegeben, weil ich erstens kurze Namen mag, und weil ich zweitens denke, dass der Name gut zu ihr passt … sogar besser als ihr richtiger Name.
Ich hoffe, dass es mir gelungen ist, Lenas Begegnung mit dem Übernatürlichen eine angemessene literarische Form zu geben. Ich habe diese Geschichte in der Ich-Perspektive geschrieben, also aus der Sicht der Person, die sie mir berichtet hat. Im Grunde habe ich sie so geschrieben, wie Lena sie mir erzählt hat. Sie berichtete nicht nur aus der Ich-Perspektive, sie bevorzugte interessanterweise auch das Präsens: „Und dann komm ich also in das Zimmer und seh', dass Paula mit dem Rücken zur Wand liegt und ich denke noch, die nimmt schon wieder das ganze Bett ins Anspruch. Und dann versuch ich sie eben ein bisschen zur Seite zu schieben und ...”
Eine gewisse schriftstellerische Freiheit habe ich mir beim Verfassen dieses Buches herausgenommen, inhaltlich aber bleibe ich ganz nah an dem, was Lena mir bei unseren Treffen und Telefonaten anvertraute. Längere Gespräche, die im Buch vorkommen, beruhen zum Teil auf stichwortartigen Gesprächsprotokollen, die Lena mir bei unseren Treffen aushändigte. Entgegen ihrer Befürchtungen konnte ich alles entziffern.
Schon bei unserem ersten Treffen gab mir Lena übrigens einige Infos zu ihrer Person, die ich auch dem Leser nicht vorenthalten möchte. Er (oder sie) sollte doch wissen, mit wem er (oder sie) es auf den nächsten rund vierhundert Seiten zu tun bekommt:
Lena ist Mitte Zwanzig, sie ist angehende Ärztin und homosexuell. Zum Zeitpunkt der Ereignisse, von denen dieses Buch handelt, stand Lena am Beginn ihres Medizinstudiums und jobbte im Schlaflabor des Krankenhauses, in dem diese Geschichte beginnt. Einen kleinen Moment noch, es geht gleich los.
Zunächst noch eine Warnung: Wer dieses Buch in der Horror-Abteilung aufgestöbert hat und sich nun spritzendes Blut und hervorquellendes Gedärm, explizite Sexszenen, serienmordende Psychopathen, Fleischerhaken und Kettensägen erhofft, der sollte es weglegen bzw. von seinem Reader löschen. Freunde blutigen Horrors werden mit Lenas Geschichte ebenso wenig glücklich wie diejenigen, die es nicht leiden können, wenn am Ende eines Buches Fragen offen bleiben. Dieses Buch beruht auf realen Ereignissen und in der Realität bleiben immer Fragen offen. Man sollte Unklarheiten nicht als Ärgernis betrachten, sondern als Einladung, selbst zu denken.
Oliver Susami, Oktober 2013
PS.: Ich habe vorhin die Stadt Freiburg erwähnt, Lenas Geschichte spielt allerdings nicht in Freiburg.
Nachtwache
Alex nimmt die Tasse vom Mund und macht ein Geräusch, das wie ein Seufzer klingen soll, jedoch nur die lasche Imitation eines echten Seufzers ist. Ich sehe es nicht, weiß aber, dass er das Gesicht zu einer Grimasse verzieht.
„Der schmeckt wie Spülwasser. Dünner Kaffee schmeckt immer wie Spülwasser.”
Er schaut mich von der Seite an und wartet auf meine Zustimmung … da kann er lange warten. Ich nippe an meinem dampfenden Kaffee und er schmeckt überhaupt nicht nach Spülwasser ... er schmeckt schlicht und einfach nach Kaffee. Ich stelle die Tasse ab und starre wieder auf die Monitore. Sieben schlafende Menschen, zwei auf dem Rücken, drei auf dem Bauch und zwei auf der Seite, alle verkabelt.
Eigentlich ist Alex ja ein netter Kerl. Wenn er sich nur nicht ständig wiederholen würde! Das mit dem Spülwasser habe ich bestimmt schon zwanzigmal gehört, seit ich vor sechs Wochen hier angefangen habe. Andere typische Alex-Sätze: „Frauen und Technik, das funktioniert einfach nicht.” (wenn etwas schief geht und eine Frau beteiligt ist. Manchmal reicht es auch, wenn eine Frau nur in der Nähe ist.), „Ich krieg hier noch 'nen Herzinfarkt.” (wenn Alex zu viel Arbeit hat bzw. der Ansicht ist, zu viel Arbeit zu haben) und „Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen.” (wenn zu der vielen Arbeit auch noch unvorhergesehene Probleme dazukommen).
Alex stellt seine Tasse lauter als nötig ab und gähnt übertrieben. Einer dieser Gähner, die man hören soll. Es ist jetzt kurz nach drei Uhr morgens. Ganz offensichtlich sucht Alex meine Aufmerksamkeit, vielleicht sollte ich ihm mal sagen, dass ich nicht auf Männer stehe. Ich sage nichts und starre weiter auf die Monitore, einer der Rückenlieger dreht sich auf die Seite, ein anderer kratzt sich erst am Kopf und dann, ganz langsam, am Hals. Es sieht
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