Vilm 01. Der Regenplanet (German Edition)
Humor ging ihm zusehends verloren.
Gleiter Nummer sieben ließ sich am Kranarm aus dem Hangar bugsieren. Das erledigte Barbara per Fernsteuerung von außen, weil die Kameras zu unzuverlässig arbeiteten. Immer wieder musste sie dabei gegen das Gefühl ankämpfen, etwas oder jemand starre sie aus den merkwürdigen verfilzten Büschen an, die auf der Lichtung im Trümmergebirge standen. Beinah wäre der Gleiter hart auf den Boden aufgeschlagen, nur weil sie sich einbildete, aus den Augenwinkeln ein verrücktes Tier mit zwei Köpfen gesehen zu haben. Jonathan war keine Hilfe; er hatte Schweißperlen auf der Stirn und kämpfte mit Schmerzen in seinem Arm. Wahrscheinlich hatte er Fieber. Barbara schickte ihn in den Gleiter, kaum dass das Ding mehr schlecht als recht und ein bisschen schief draußen stand. Sie wollte nicht darüber nachdenken, wie sie allein einen ohnmächtigen Karnesen dort hineinbekommen sollte.
In den anderen Gleitern – bis auf den, der praktisch unter Wasser stand – sammelte sie alles ein, was nach Sanitätsausrüstung aussah. Dann pumpte sie Jonathan mit einem unausgewogenen Drogencocktail voll. Das Zeug dämpfte die Schmerzen, senkte das Fieber und machte ihn so weit ansprechbar, dass sie Jonathan als Hilfe bei dem folgenden Abenteuer gebrauchen konnte. Später würde der arme Kerl eine Woche lang Kopfschmerzen haben.
»Gesetzt den Fall, er überlebt diesen ganzen Irrsinn«, knurrte Barbara, während sie das Schiffslogbuch kopierte und die Dateien in den Gleiter übertrug. Als sie feststellte, dass in dem maroden System des Landeschiffes eine Menge von Daten aus den letzten Minuten des Weltenkreuzers existierte, sicherte sie auch diesen Kram im Rechner des kleinen Flugzeugs. Der geriet dadurch zwar an die Grenzen seiner Kapazität, aber für die wenigen Kilometer bis zum Lager sollte der Rest reichen.
Jeder Schritt vom Landeschiff bis zu Nummer sieben bereitete Barbara fast körperliche Schmerzen. Sie hätte geschworen, dass sie beobachtet wurde. Irgendetwas starrte aus den einheimischen Gewächsen herüber. Die Augen eines gigantischen Drachen musterten kühl die winzige menschliche Gestalt. Ein düsterer Verstand durchdachte Möglichkeiten ihrer Vernichtung. Mächte der Finsternis kicherten. Teuflische Gedanken wurden zu fliegenden Objekten und stießen aus dem regnerischen Himmel herab.
In einem Zustand flatternder Angst hieb Barbara auf Tasten und Schalter ein; mit quälender Langsamkeit schloss sich die Luke des Gleiters. Die Pfützen kräuselten sich unter der Maschine, als die Emittoren anliefen und das Ding in die Waagerechte brachten. Es handelte sich um einen schweren Gleiter mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit, fähig, in höhere Schichten der Atmosphäre aufzusteigen. Er war geformt wie ein Teufelsrochen mit geblähtem Bauch, eine Unzahl von Antennen war auf den Rumpf gepflanzt worden. Nun summte der Apparat leise. Nummer sieben lief wie ein Uhrwerk und fragte nach dem Kurs. Barbara hatte nicht die geringste Ahnung. »In welche Richtung?«, fragte sie.
»Nach Hause«, sagte Jonathan.
»Sehr witzig.« Barbara drehte sich um und wollte eine spitze Bemerkung vom Stapel lassen, aber rechtzeitig bemerkte sie, wie elend der Karnese aussah. Sie erinnerte sich daran, dass der Schnitt in seinem Arm zwischen all den Muskeln bis fast zum Knochen reichte; und sie erinnerte sich an die Farben von Blut, menschlichem Fleisch und inneren Organen, überdeutlich in einer rabenschwarzen Umgebung aus verglühtem Plast. Sie dachte an den beschleunigten Stoffwechsel der Schwerweltmenschen, der ihnen zu Hause das Überleben leichter machte. Sie erinnerte sich, welche Mengen an Nahrung Dorand und Vliesenbrink in sich hineingestopft hatten, unten im Lager. Was mochte in karnesischen Leibern bei einer Verletzung vorgehen? Wie viele Reserven hatte ein Karnese, der Blut verlor und nichts zu essen bekam? Sie hatte keine Ahnung.
»Nach Hause«, sagte Jonathan.
»Ja«, sagte Barbara. »Ich versuche es.« Sie berührte die Kontrollen der Maschine und ließ sie Höhe gewinnen. Nummer sieben reagierte sofort. Die unsichtbaren Augen blieben am Boden zurück. Alle Anzeigen waren im grünen Bereich. Barbara richtete die Sensoren zur Oberfläche, um auf diese Weise das Lager zu finden.
Jonathan ächzte vor Schmerz. Er rief mit geübten Handgriffen einige Monitore ins Leben zurück und gab etwas in den Bordrechner ein. »Kreisen«, sagte er dann, »wir sollten den Rand des Trümmerfeldes suchen und dann immer
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