Vilm 01. Der Regenplanet (German Edition)
Anzeigen kommen mir merkwürdig vor. Kann es sein, dass diese Maschine auch ihr Teil Wasser da unten geschluckt hat?«
»Kann sein. Dürfte inzwischen aber keine Rolle mehr spielen. Wir sollten die Steiggeschwindigkeit erhöhen.« Barbara griff in die Kontrollen. In den weit ausladenden Schwingen des rochenförmigen Fluggeräts summten die Emittoren die Tonleiter hinauf. Nummer sieben reagierte so brav, als hätte er alle seine Routinekontrollen bekommen. Barbara hatte vor dem Start jene nervige Anzeige abgeschaltet, die darauf bestand, dass Nummer sieben aufgrund überschrittener Wartungsintervalle zum jetzigen Zeitpunkt nicht benutzt werden solle. Die Mechaniker waren entweder tot oder Lichtjahre weit entfernt. Unter der Flugmaschine, die jetzt in einem wahnwitzigen Tempo in den Himmel hineinstürmte, verschwand die Wunde, die der abgestürzte Weltenkreuzer in die Haut der verregneten Welt geschlagen hatte. Wolken umgaben Nummer sieben, und nur das gelegentliche Vorbeihuschen von dichteren Schichten in dem grauen Einerlei bewies, dass der Apparat weiterhin in die Höhe schoss.
Jonathan arbeitete daran, dem Rechner die richtigen Konstellationen dieser Gegend des Kosmos beizubringen, und er hatte dafür einige Minuten Zeit. Keiner der beiden wagte es, eine Andeutung zu machen, aber wenn zufälligerweise ein anderer Weltenkreuzer oder irgendein Schiff den Pausenpunkt in der Nähe des Systems benutzte, könnten sie gerettet werden. Verdammt, sie könnten heute Abend durch ein Panoramafenster auf diesen Planeten hinabsehen, Jonathan wäre aufs Beste verarztet, und in einigen Tagen wären sie auf Atibon Legba. Diesen Gedanken hatten beide, und sie sprachen ihn nicht aus.
Barbara war auf eine andere Idee gekommen: Wenn die letzten zweiundzwanzig Minuten der VILM VAN DER OOSTERBRIJK als gigantische Datenpakete in den Speichern dieses Flugzeuges abgelegt waren, dann steckte irgendwo in dem Datenwust die Antwort auf die Frage, die sich bisher kaum jemand zu stellen gewagt hatte – warum nur war ein Weltenkreuzer abgestürzt, die fortgeschrittenste Art von Maschine, die von der raumfahrenden Menschheit bisher hervorgebracht worden war? Was war der Grund für dieses unerhörte Vorkommnis? In den bisher gefundenen Speicherbruchstücken war nur Datenmüll gewesen, geschmolzene Information, ungeordnete Haufen wirrer Zahlenfolgen. Hier hatte sie intakte Daten vor sich; intakt, aber nicht für einen einfachen Abruf vorbereitet. Alles, was sie wissen wollte, steckte darin. Barbara befand sich in der Lage eines Bibliothekars, dem die Kartei abhanden gekommen war: Alle Informationen waren da, versteckt in endlosen finsteren Gängen, deren Wände mit verstaubten Büchern ohne Titel und Verfasser vollgestellt waren. Hier aufs Geratewohl herumzusuchen, war eine Lebensaufgabe. Barbara suchte gezielt nach Befehlen, die den Segmenten des Weltenkreuzers befohlen hatten, sich voneinander zu lösen. Das mochte einen Anhaltspunkt liefern. Solche Befehle nach ihrem Ursprung auszuforschen, dürfte die eine oder andere Antwort liefern. Nummer sieben eilte empor, immer noch umgab weißgraues Wolkengewaber das Flugzeug.
»Wie kommst du voran?«, erkundigte sich Barbara bei Jonathan. Der grunzte. »Ich schaffe es, keine Sorge. Wann kommen wir über die Wolken?«
»Zwei Minuten, plus minus zehn Sekunden.«
»Das reicht.« Barbara schaute auf die Ergebnisse ihrer Suche in den Dateien, warf unwahrscheinliche Verbindungen weg, verknüpfte gewisse Vorgänge miteinander, zog Schlussfolgerungen und ließ sich von der Datenbank Vergleichsmaterial liefern. Langsam schälte sich eine Ursache der Katastrophe heraus. Es war verdammt noch mal unmöglich. Und doch war es geschehen: Ein massiver Eingriff von außen hatte die VILM VAN DER OOSTERBRIJK in einen Haufen Schrott verwandelt. Jemand oder etwas war wie ein tödlicher Strahl schwarzen Lichts in die innersten und wichtigsten Funktionen des Schiffes gedrungen; danach hatte jeder einzelne Rechner des unendlich komplizierten Netzes im Schiff sich wie ein Berserker benommen. Dem logischen und informatorischen Zerfall des Weltenkreuzers war der physische Zerfall zwangsläufig gefolgt. Ein Ameisenhaufen, in dem ein grausamer Gott jeder Ameise befiehlt, gegen alle anderen zugleich zu kämpfen. Doch woher war jener zerstörerische Impuls gekommen, was genau war die Ursache von so viel Tod und Vernichtung? Und wem sollte all das nützen? Barbara gab dem Rechner auf, den ursprünglichen Impuls und von da aus
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