Vilm 03 - Das Dickicht (German Edition)
ein noch viel größeres.«
Die alte Lehrerin nickte ihm aufmunternd zu, so wie sie es oft bei Schülern gemacht hatte, denen sichtlich etwas auf der Zunge lag.
»Stellen Sie sich vor«, sagte der Mann mit der hellen Strähne im Haar träumerisch, »dass alle Ihre Geheimnisse plötzlich in einem Riesenrechner gespeichert sind, der nicht Ihnen gehört und den Sie nicht mal verstehen. Ihre Zugangscodes, Passwörter, falschen Identitäten, geheimen Prozeduren, getarnten Produktionsstätten, geschmierten Personen, bestochenen Politiker, verdeckten Operationen, geheimen Geschäfte, vergrabenen Leichen ...«
Eliza hielt die Luft an.
»Kommt ja überhaupt nicht in Frage«, brüllte Will ein paar Meter weiter weg. Er hatte es immer noch mit der zur Ausreise wild entschlossenen Brink zu tun und einem zunehmend zerzauster aussehenden Robinson, der ihm zu erklären versuchte, dass einerseits absolut kein Schaden entstanden sei und es sich bei der jungen Vilmerin schließlich andererseits um einen volljährigen Menschen handele.
Er klang nicht, als wäre er selbst hundertprozentig davon überzeugt.
Der Cummino brach ab, als der Administrator herumschrie, und schien geistig von irgendwoher zurückzukommen.
Er starrte Eliza an.
»Wozu erzähle ich Ihnen all das?«
»Ach, ich verrat’s schon keinem.« Sie lächelte ihn an. »Und Sie glauben, dass dieses riesige Gebilde aus Ästen und Muskeln Sie verraten könnte? Keine Angst. Es ist überhaupt nicht an uns interessiert. Oder an Ihnen. Nicht im Geringsten.«
Jetzt, wo sie es aussprach, erkannte sie es selbst ganz klar.
Jeder, der sich in die Mulde legte und Lukaschiks Hinterlassenschaft benutzte, erfuhr viel. Aber nur über sich selbst.
»Man findet darin das, wonach man sucht; nicht das, was da ist«, flüsterte sie dem Mann zu, der aus den schattigeren Ecken von Atibon Legba kam. »Oder eben nur einen kleinen Teil davon. Jeder erlebt etwas anderes in diesem Ding, denn die Menschen sind für das Dickicht so furchtbar unwichtig.«
Beinahe hätte sie vergessen zu zwinkern. Ihre Augen taten weh, so lange hatte sie sie schon weit aufgerissen.
Der Leibwächter berührte sie leicht an der Schulter, wie um zu testen, ob sie noch lebte. Dann bedeutete er dem Cummino-Clanmitglied, dass es an der Zeit sei zu verschwinden.
All die Rätsel sind gar nicht für uns, dachte Eliza. Wir werden nie verstehen, warum dieses Wesen seine südliche Seite zu so einem gefährlichen Ort hat werden lassen, und warum es manchen Eindringlingen erlaubt voranzukommen. Warum es die Weitergereichten Wohnstätten durch seinen Leib befördert und was genau seine bis fast in den Weltraum hinaufreichenden Wedel dort oben tun. Oder welchem kontinentgroßen Gedanken der nächste Gewittersturm zu verdanken ist.
Es geht uns schlicht nichts an.
Sie stand still und völlig in Gedanken versunken, während der Cummino samt seinem Wachhund einen Halbkugler bestieg und sich auf den Rückweg machte, der Streit zwischen den Vilmern endete und Adrian Harenbergh an ihre Seite trat.
Erst als er ihre Hand ergriff, schrak sie hoch.
»Eigentlich«, sagte er, »wollten wir dich ja einladen, die Verbindung zum Wolkengebirge auszuprobieren. Exklusiv sozusagen, ehe das alles hier ein Teil des äußerst gewinnbringenden Regenplanetentourismus’ geworden ist.«
Die einarmige Zentralierin betrachtete die Mulde mit dem einladenden, weichen Kissen aus empfindsamem Myzel darin.
Sie ging in Gedanken die Liste der Leute durch, die in ihrem Leben eine wichtige Rolle gespielt hatten, angefangen mit Lafayette. Sie erwog, ob sie es nötig hatte, sich den seltsamen Vorgängen anzuvertrauen, die der Kontakt mit dem Riesengestrolch in ihren Erinnerungen auslösen würde.
Dann strahlte sie Adrian an.
»Das ist wirklich nett von euch, Jungs«, sagte sie, »und das ist alles wirklich sehr beeindruckend. Es wird sicher ein großer Erfolg werden bei den Leuten, die sich die Reise nach Vilm leisten können. Aber ich würde lieber mir dir zurückfahren und nachsehen, was die Setzlinge machen.«
Harenbergh sah sie an und nickte. Er wusste längst zu unterscheiden, wann er ihr etwas ausreden konnte und wann dieses Unterfangen hoffnungslos war.
»Außerdem«, sagte Eliza, »regnet es hier unten ja gar nicht. Der Regen fehlt mir.«
ENDE
***
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VILM. Der Regenplanet
VILM. Die Eingeborenen
Galdäa. Der ungeschlagene Krieg
VILM. Das Dickicht
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