Violett ist erst der Anfang
so ab 19 Uhr, tagsüber macht die Kosmetik, also die Peggy, die hat ein Buch gelesen, ein dickes Ratgeberding, für mich wäre das nichts, doch nun weiß sie alles über Homöopathie und …«
»Ich liebe Männer!« Einmal kurz gebrüllt und alle erstarrten.
Prompt hagelte es verständnislose Blicke, und Jule realisierte ihren Fauxpas. Hom-äh-ooh-p-pa-peinlich. Was konnte sie zu ihrer Verteidigung sagen? Nichts. Außer: Verdammt noch mal, seit gestern war sie sensibilisiert für Wörter mit dieser Vorsilbe. Sie spürte förmlich die Gedanken der anderen. Jule Schweitzer. Nymphomanin. Gestört. Glücklicherweise sprach es niemand aus, die Mädels werkelten schweigend weiter, und Mandy schwenkte endlich zur Kurzfassung ihrer Mitteilung.
Diese jedoch gefiel Jule nicht. Ganz und gar nicht.
»Mehr Violett?«
#A146FF, es ist nur ein Farbcode, ooommm.
Fluchend quälte sich Jule in Babetts Leggins. Grundton Bordeaux, maisgelb getupft, zum Heulen hässlich. Trotzdem tausendmal schöner als violett. Auf dieses Wort reagierte Jule zunehmend allergisch.
Mandy, diese sabbelnde Hohlnuss, ey, die hatte den Hype brühwarm nach oben gepetzt. Dort rieb man sich offenbar die Hände. Fans gleich Zuschauer gleich Quote gleich Geld. Die Welt wollte Viola und Babett, kein Problem, wurden die Drehbücher eben entsprechend umgeschrieben. Ausgebaute Storyline, vollgemüllt mit allen typisch lesbischen Klischeeproblemen, mehr Screentime, dazu passende PR, Aktionen und Werbemaßnahmen. Jule sah sich schon flankiert von Kameras unter dem Brandenburger Tor mit einer Spendensammeldose der Aidshilfe. Oder dauerwinkend auf einem Wagen bei der nächsten Homo-Parade, politisch korrekt eingekeilt zwischen grün und pink, Claudia Roth und Hella von Sinnen. Sicher, es gab Schlimmeres.
Ewa … Von nun an würden sie beide rund um die Uhr aufeinander hocken. Grundsätzlich war das fantastisch, aber so homoaufgeladen eben Mist. Dabei hatte sie Ewa wirklich gerne geküsst. Die schmeckte nach Cappuccino und nicht muffig nach Aschenbecher wie Manuel, Babetts Adoptivbruder Nick, der vor jeder Kussszene Kette qualmte. Aber verdammt, es ging ums Prinzip. Jule war nicht scharf auf die Lesbenschublade. Als Schauspielerin brauche ich Raum! – Warum hast du dann bei Liebes Leben unterschrieben? – Weil … ach Fresse, halt dich raus, Klugscheißersynapse. Viel entscheidender war nun die Frage: Wie kam Jule aus dieser Nummer wieder raus?
Im Kopf spielte sie diverse Möglichkeiten durch, nach außen hin spielte sie irgendwas zusammen. Schien zu gefallen. Zumindest lobte sie Regisseur Siggi, der Jule mit Vollbart und Karohemden stets an einen kernigen Holzfäller erinnerte, anschließend in den höchsten Tönen. »Jule, einfach top. Diese Kauerei auf deiner Unterlippe, dein Blick ins Leere, das Gezupfe an deiner Halskette, wunderbar. Innerlich abwesend. In Gedanken verknallt bei Viola. Genau das wollten wir sehen.«
Na dann. Solange Jule Ewa nicht sehen musste, war ihr alles recht. Doch gleichzeitig … Mensch, der Wirbelwind fehlte ihr. Laut Plan steckte Ewa heute im Tonstudio und nahm Songs für ihre Viola-Rolle auf. Wehmütig dachte Jule an letzte Woche zurück. In einer Drehpause hatten sie diese Lieder gemeinsam geprobt. Jule klimpernd am Klavier, Ewa schmetternd daneben. Es hatte Spaß gemacht, den Gesang ihrer Kollegin zu coachen. Selten war Jule eine Stimme so dermaßen unter die Haut gekrochen. Warm und klar, präsent, gefühlvoll bis ans Limit. Hach ja, die Frau B. … Ein faszinierender Rohdiamant. Noch ein paar Jahre Spielpraxis und Ewa hatte gute Chancen auf die wirklich anspruchsvollen Rollen. War somit alles undramatisch? Für sie beide war diese Soap nur eine Etappe. Jule war Profi. Seit jeher trennte sie Beruf vom Privatleben, Fiktion von Realität, und Ewa war lediglich … Da, auf dem Flur, warum auch immer, funkelte Ewa Bogacz Jule mit glänzenden Augen an und fiel ihr im nächsten Moment überschwänglich an den Hals.
»Mensch, ich hab dich schon überall gesucht, Jule. Die Aufnahmen waren der Hammer, das kannst du dir nicht vorstellen. Ich hab an alles gedacht, was du mir gesagt hast, und die Jungs im Studio waren total geflasht, boar, war das geil!«, blubberte Frau B. los und drückte Jule fest an sich.
Die klebte da stocksteif und vollkommen überrumpelt. Wärme strahlte von Ewas Körper ab, und ein Hauch von Parfüm schlich sich in Jules Nase. Erinnerte an einen Sommertag am Strand, mit kitzelndem Sand zwischen den nackten Zehen,
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