Violett ist erst der Anfang
Babett, die …«
»Ich weiß. Ellen ist ein Entertainment-Blog für frauenliebende Frauen. Somit bin ich Frau Fischer und meine Einstiegsfragen wären: Hätten Sie beide mit diesem Hype gerechnet und wie gehen Sie mit dem Hype um?«
Schweigen.
Hilfesuchend schielte Frau B. zu Jule. Jule konnte nur verdattert zurückgucken. Nun war guter Text teuer.
»Verzeihung.« Sie hüstelte. »Könnten Sie Ihre Frage freundlicherweise etwas konkretisieren?«
»Na, wie fühlt es sich an? Vertreten zu sein im Ranking des amerikanischen Online-Portals Gaytopolis, Platz 21 und 23 in den internationalen Lesbian Hot 100. Angie dieses Jahr abgeschlagen auf Platz 43 und …«
»Sekunde.« Jule schritt ein. »Mit Angie meinen Sie die Bundeskanzlerin, richtig?«
»Angelina Jolie.«
Schweigen. Diese Info wollte verdaut werden. Gab es allen Ernstes Frauen, die zwei deutsche Soap-Schauspielerinnen heißer fanden als einen der schärfsten Megastars in Hollywood? Auch Frau B. wirkte geplättet. Und überfordert. Ihre Wangen und Ohren leuchteten so intensiv wie ein Feuermelder.
»Ich versteh das alles nicht«, gab sie kleinlaut zu. »Wie kommen Jule und ich zu dieser Ehre?«
»Weil Violett derzeit das Thema ist.«
Aha. Erneutes Schweigen und somit Cut. Mit kryptischem Input führte das Gespräch zu nichts. Jule hob die Hände. »Mir scheint, Sie haben recherchiert. Bitte klären Sie uns auf, über uns.«
Das war das richtige Stichwort gewesen. Ein schier endloser Monolog sprudelt aus Alex heraus, und Jules Kopfschmerz nahm rapide zu. Ihre seichte Nullachtfünfzehn-Lovestory bei Liebes Leben verzückte demnach akut die Lesbenwelt. Ein Hoch auf Violett – ihr Paarname, gebastelt aus Viola und Babett. Neue Fan-Foren wurden aus dem Boden gestampft, T-Shirts gedruckt, Clips montiert, die nun die Videoplattform YouTube überschwemmten. Violett in Love. Zu jeder Szene mit ihnen gab es Untertitel in einem Dutzend Sprachen, übersetzt von deutschen Fans für Fans in aller Welt. Die tauschten sich aus und stimmten ab, pausenlos und begeistert. Welche Violett-Szene war bisher die schönste, welches Zitat das herzzerreißendste und wie sollte es weitergehen mit den beiden? Hype, Hype, Hype. Euphorie pur von Aalen bis zum Zuckerhut, alle Lesben schmachteten mit. War das jetzt der Moment für den Satz: Ich bin ein Gay-Promi, holt mich hier raus? Aufgewühlt schnappte sich Jule eine Wasserflasche, setzte an und schüttete sich den Inhalt in einem Rutsch rein. Erst dann fühlte sie sich wieder fähig für irgendeinen Kommentar. »Das klingt total krank. Unglaubwürdig. Immerhin drehen wir diesen Schrott jeden Tag. Einen Hype hätten wir bemerkt.«
»Frau Schweitzer, lesen Sie keine Fanpost?«
»Schon aus Prinzip nicht. Nein«, sagte Jule knapp und sah zu ihrer Kollegin. »Du etwa?«
»Ich bekomme Fanpost?« Frau B. hob den Kopf, so aufgescheucht, als wäre sie ein Erdmännchen. »Wo wird die denn hingeliefert?«
»Werfen Sie einen Blick ins Internet, falls Sie mir nicht glauben. Violett ist überall«, beteuerte Alex. »Noch nie hat es zu einem Serienpaar so viele Fanfictions gegeben.«
»Fan… was?«, erkundigte sich Ewa zaghaft, offenbar restlos überrollt von der Informationsflut.
»Neue Geschichten rund um Viola und Babett. Verfasst von Fans. Natürlich gibt es auch Real Person Femslash wie bei jeder Serie, logisch.«
»Fem… was?« Jule ächzte. »Herrgott, könnten Sie Ihr Homo-Chinesisch netterweise mal runterschlucken und vernünftig mit uns reden?«
»Die Fans schreiben Geschichten über Sie. Liebe am Set. Jule Schweitzer und Ewa Bogacz, unsterblich ineinander verknallt.«
»Wie bitte?« Jule verrutschte die Tonlage nach oben.
»Ja.« Alex wischte sich über die Stirn. »Ich muss zugeben, mir gefällt’s. Sie beide wären ein großartiges Paar. Jung, attraktiv, unfassbar süß. Blond und brünett, braunäugig und blauäugig, bisschen butch und femme, Sie haben Chemie und dazu diesen unschuldigen Lolita-Charme, da prickelt alles erotisch und …«
»Bei mir nicht!« Höchstens spontane Wut, oh ja, die kribbelte in Jule durchaus. Statt violett sah sie rot und rauschte ab im Stechschritt. Interview hiermit beendet.
Mit tiefsitzender Mütze und hochgeklapptem Mantelkragen kauerte Jule im hintersten Eck des allerletzten Wagons. Die Fahrt zu ihrer Wohnung war blanker Horror. Nein, heute lag es ausnahmsweise nicht an der Berliner S-Bahn. Bei jedem Stopp zuckte Jule zusammen, in panischer Erwartung des Sturms. Alex im Rudel. Lauter
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