Violette Bescherung
nicht.« Ewa wuselte in den Flur und kehrte mit einem riesigen Pappkarton zurück. »Nur dieses Schloss. Aber Filly steht drauf.«
»Gib her.« Jule rückte an ihrer Brille und inspizierte die Beute. »Fetzt. Hast du gut gemacht.«
»Sicher?« Ewa kaute am Daumen. »Das Ding war arschteuer.«
»Eben. Indiz eins.«
»Mir war dieser Mädchenkram immer zu doof. Mit fünf wollte ich Rollschuhe.«
»Süße, die windige Plastikhütte ist rosa. Nur das zählt, glaub mir. In dieser Hinsicht bin ich als Ex-Prinzessin Expertin. Ui, schau.« Sie tippte auf die Verpackung. »Alles perfekt. Pferd inklusive.«
»Aber nur eines.«
»Eins ist mehr als keins.« Was bin ich doch ein Mathegenie.
»Stimmt auch wieder.« Ewa seufzte. »Nun müssen wir nur noch den Rest wuppen. Willst du noch Wein?«
Lieber den Gnadenschuss zum Fest. Trotzdem nickte Jule und nippte sich weiter Stärke an, während Ewa in die Einkaufstüten linste.
»Was gibt’s zu essen?«
»Würstchen mit Kartoffelsalat.«
»Oh.« Ewa schluckte.
»Keine Kritik, Fräulein. Das ist ein Klassiker. Toter Vogel war einfach nicht zu kriegen, und so etwas Leichtes passt viel besser zu den Temperaturen.«
»Es ist nur …«, druckste Ewa herum. »An Heiligabend essen wir in Polen kein Fleisch.«
»Bitte?« Jule quietschte fast. »Nicht dein Ernst. Ey, welche Weihnachten feiern wir hier überhaupt?« Die schlimmsten deines Lebens, Schweitzer.
»Improvisierte.« Ewa zwinkerte ihr zu.
»Ne wirklich, jetzt mal Klartext. Was veranstalten wir?«
»Du bist doch auch katholisch, Jule.«
»Korrekt. Also verwirre nicht mein Wissen, Bogacz. Gefastet wird an Ostern. An Weihnachten wird gemästet mit …«
»Toffifee.« Ewas Augen glänzten, als sie die Packung aus der Tüte fischte, aufrupfte und sich drei Karamell-Schoko-Nuss-Dinger auf einmal in den Mund stopfte. Kauend schwang sie sich auf den Küchentisch und ließ die Beine baumeln, Jule dabei fest im Blick. »Kurzfassung. Grundsätzlich läuft alles so wie hier an den Feiertagen. Geschmückter Baum, Bescherung, Kirche und so. Die Bräuche vermischen sich immer mehr, zumindest in meinem Umfeld. Kein Wunder. Aus der Kindergeneration sind alle in Deutschland aufgewachsen. Nur Weihnachten feiern wir traditionell bei meiner Familie in Polen und …«
»Definiere Familie.«
»Der harte Kern eben.« Ewa zuckte die Schultern. »Treffpunkt bei Oma. Meine Eltern sind da, meine Geschwister auch. Onkel, Tanten, Cousinen, meine Cousins mit Anhang und Kids, meine beiden Großtanten, dann noch der Neffe von …«
»Stopp.« Jule hob die Hand. »Übersetz das in Zahlen.«
»Puh. Schwer zu sagen. Die Runde wächst. Zwanzig Leute?«
»Zwanzig?«, wiederholte Jule laut. »Und die kommen alle zum Essen?«
»Äh … ja?« Eine neue Ladung Toffifee, eine kurze Genusssekunde. »Advent gilt bei uns als Fastenzeit. Grundstimmung besinnlich, mehr so in sich gekehrt. Konzentration aufs Wesentliche. An Heiligabend gibt es dann zwölf Gerichte, die …«
»Zwölf?« Irgendwie mutierte Jule zum Papagei, aber hey, diese Infos wollten nicht in ihr Hirn. Die Polen kochten sich ja kirre zum Fest. Zwölf Speisen, mal zwanzig Personen, ergab … definitiv eine Menge. Wie quartierte man so eine Horde überhaupt ein? Luftmatratzenlager im Wohnzimmer? Gruppenkuscheln neben der Tanne, wie einst Maria und Josef mit Ochs und Esel im Stall? Heiliger Birnbaum, man konnte es auch echt übertreiben mit dem katholischen Elan.
»Alter Brauch«, erklärte Ewa weiter. »Zwölf Gänge, da zwölf Monate im Jahr und zwölf Apostel in der Bibel. Jede Runde ohne Fleisch. Früher kam wohl alles auf den Tisch, was in der Natur so rumlag. Die Früchte der Erde quasi. Getrocknetes Obst, Nüsse, Pilze, so Zeug, kein großer Schnickschnack. Hauptsache viel, weil dann angeblich die Ernte im nächsten Jahr boomt. In meiner Familie regeln wir das inzwischen lockerer. Arbeitsteilung. Jeder rückt schon mit einem fertigen Gang an. Somit gibt es jedes Jahr ein anderes Menü. Viel Fisch, Karpfen, Hering, diverse Suppen, und alles nach polnischen Rezepten gekocht. Barszcz ist immer dabei. Kennt man hier auch. Borschtsch? Rote-Beete-Suppe?«
»Kenne ich nicht. Habe ich auch nicht gekauft.«
»Kaum zu glauben bei all dem Kram.« Ewa schielte wieder zu den Tüten. »Was hast du denn alles mitgenommen?«
»Primär Süßigkeiten und Backzeug.« Glaub ich.
»Schon mal gut. Paulina liebt deutsche Plätzchen. Gab’s Förmchen?«
»Haha.« Auf ihren trockenen Ton kippte Jule
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