Violette Bescherung
alkoholgeschwärzten Biografie-Passage. Wie peinlich. So einen Tiefpunkt konnte man nur voller Scham hinnehmen und wollte ihn nicht nachträglich mit Farbe und weiteren Einzelheiten füllen. Memo an mich: Bei der nächsten Polenhochzeit täusche ich Migräne vor und bleib im Hotel.
»Schon verziehen, Liebes.« Alicja tätschelte ihr kurz die Wange. »Wenigstens hast du unsere Band nicht mit Torte beworfen.«
»Mann ey«, knurrte Ewa. »Das war eine Wette. Wie oft denn noch? Krysztof und Jakub haben mich quasi dazu gezwungen, dass ich dem Gitarristen das Stück mitten in den Schritt … ey, müssen wir diese Scheiße jetzt diskutieren? Es ist Weihnachten, verflucht noch mal!«
»Barszcz steht bereit.« Alicja nickte zum Herd.
»Du hast gekocht?« Ewa starrte mit offenem Mund.
»Vier Gänge. Natalia steuert außerdem Sahnehering und Kutia bei.« Passend zum Stichwort wuchtete Alicja eine Klappbox voller Töpfe und Tupperdosen auf den Tisch. »Ist alles fertig. Müssen wir nur noch aufwärmen.«
»Boah geil!« Ewa riss Deckel um Deckel auf. »Sogar Karpfen in Gelee. Wo hast du den her?«
Ein geheimnisvolles Lächeln umspielte Alicjas Mund. »Ich habe da so meine Quellen. Nur eine geweihte Oblate aufzutreiben, das war auf die Schnelle tatsächlich etwas knifflig.«
Ewas Augen weiteten sich. »Selbst daran hast du gedacht?«
»Natürlich. Brauch ist Brauch. Die teilen wir gleich vor dem Essen, wie es sich gehört. Ach, und mein Piotr hängt uns noch einen Leuchtstern ins Fenster.«
»Äh … wozu?«
»Wozu?«, wiederholte Alicja und bedachte Ewa mit einem tadelnden Blick. »Ein Heiligabend startet, sobald der erste Stern am Himmel steht. Wenn wir schon tagsüber feiern, müssen wir improvisieren. Jalousien runter, Stern an, los geht’s. Alles andere würde Paulina nachhaltig verwirren.«
»Ihr seid super.«
»Was hast du erwartet, Ewa?« Alicja seufzte leise. »Familie hält zusammen. Wann, wenn nicht an Weihnachten? Und nun ab mit euch. Macht euch frisch. Wir kümmern uns um die letzten Details.«
Einspruch? Nein. Alicja übernahm routiniert das Kommando und ganz ehrlich? Jule fiel spontan ein Stein von Herzen. Spätestens in dem Moment, als sie frisch geduscht in einen sauberen Slip stieg. Obendrein schien von ihren Schultern eine unsichtbare Last zu purzeln. Die letzte Nacht hatten sie und Ewa ihr eigenes Weihnachtssüppchen gekocht. Nun kamen weitere Köche dazu, die mitwürzten, und es war enorm beruhigend. Wenn das Ergebnis nicht schmeckte, mussten alle die Rübe hinhalten. Doch wer wollte meckern? Ewa zumindest strahlte, äußerlich gesäubert und ohne teigverkrustete Fransen. Noch viel stärker leuchtete sie von innen. Ihre Freude war ansteckend.
Wie gebannt saugte Jule jedes einzelne Bild auf, als würde sie sich einen polnischen Film ohne deutsche Untertitel anschauen. Schöne Szenen. Wie Bohnenstange Piotr Ewa knuddelnd im Kreis durch den Flur wirbelte und sie ihm frech den verhunzten Topfschnitt zerstrubbelte. Wie sich Ewa einen kleinen, neckischen Boxkampf mit Krysztof lieferte, bis er grunzend kapitulierte. Und der Moment, als Ewa vor Paulina in die Knie sank. Paulina wirkte nervös. Immer wieder rückte sie an den Schulterträgern ihres rosa Rucksacks, knautschte Falten in ihr helles Blumenkleidchen und tänzelte auf der Stelle.
»Hej, kleine Maus«, sagte Ewa butterweich und zupfte dem sommersprossigen Sonnenschein kurz am Zopf. »Alles gut?«
Paulina nickte. »Wir waren auf dem Spielplatz.«
»Gerade eben? Echt? Ja Wahnsinn. Warst du auf der Schaukel?“
»Ja.«
»Cool. Hat Krysztof dich angeschubst? Bis halb zum Mond?“«
»Ja.«
»Super. Also hast du ihn wieder lieb, obwohl er gestern so streng mit dir war?«
»Ja.«
»Spitze. So soll es sein. Und jetzt? Freust du dich schon auf die Bescherung?«
Es brauchte keine Antwort. Paulinas Augen leuchteten so hell wie tausend Christbaumkugeln auf einmal, als sie die Arme um Ewa schlang und sich so fest als möglich an sie drückte. Wham! Jules Finger suchten Halt am Türrahmen, während sie gegen die aufsteigenden Tränen anblinzelte. Dieses Motiv flashte sie bis ins Mark und sie schloss die Augen, um es ganz tief in sich abzuspeichern. Da schwang so viel mit, so viel mehr, als nur die Vorfreude auf bunte Pferde und weitere Geschenke. Ein stummes Dankeschön, so unergründlich wie der Zauber von tanzenden Seifenblasen. Prompt zuppelte etwas an ihrem Hosenbein.
»Jule, schau.« Stürmisch zog Ewa sie in die Knie und in die stille
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