Violette Bescherung
mache ich inzwischen?«
»Du könntest … hm … das Geschenk einpacken?« Ein Schmatz auf die Schläfe und schwupp, die Bogacz verduftete mal wieder. Jule blieb zurück und schwankte zwischen Weinbesäufnis und Weinkrampf. Schließlich hockte sie sich auf die Küchenfliesen, pfiff Fiffi herbei und kraulte sein Fell.
»Tja, mein Kleiner. Hast du zufällig Geschenkpapier?«
Freitag, 21:24 Uhr
Ganz ehrlich? Die Gesamtsituation blieb unbefriedigend. Zumindest in Jules Augen. Permanent verlangte Ewa Dinge, mit denen Jule nicht dienen konnte. Baumschmuck. Engel. Geschenkpapier. By the way, Nudelholz fehlt ebenfalls, und ich besitze lediglich ein einziges Backblech. Zur Sicherheit schrubbte sie wenigstens das auf Vordermann, war dabei jedoch gar nicht erfüllt von weihnachtlicher Vorfreude. Das Schloss in schnödes Zeitungspapier zu wickeln, traute sie sich auch nicht. Tja. Was sie brauchten, waren nennenswerte Fortschritte. Krippe, cool. Nur rockte ein Trupp Holzhirten kein komplettes Fest. Jeder normale Mensch hat Weihnachtskram im Fundus. Hatte Ewa Recht? War das die Taktik für eine Trendwende in ihrem Dilemma? Borgen statt besorgen … Klang sinnig und irgendwie nach der einzig verbleibenden Option nach Ladenschluss. Jule trat aus der Wohnung.
Doch an den Briefkästen am Eingang verließ sie der Mut. Die lieben Nachbarn. Was wusste sie über die? Erst kürzlich hatte jemand mit seinem Heimtrainerpappkarton die Papiertonne blockiert. Einem Alfred-Biolek-Klon gehörte das hellblaue Rennrad, das immer vor dem Haus parkte. Jule hatte den Typen einmal gegrüßt, flüchtig auf dem Weg zur Arbeit. Auch Katzen lebten hier. Zumindest lehnte Jule ihren Gelben Sack bei jeder Abholung neben einen Beutel voller Katzenfutterdosen. Nicht zu vergessen das Baby, das am liebsten sonntags im Flur brüllte. Soviel zu dem, was sie über ihre Nachbarn wusste. Ein paar Gesichter hatte sie abgespeichert. Namen dazu? Nein. Jule rückte doch niemandem privat auf die Pelle, nur weil man sich die selbe Mülltonne teilte. Mit Namen hatte sie es ohnehin nicht.
Fang unten an und klingel dich hoch, Schweitzer. Genialer Plan, obendrein mit Weihnachtsflair. Macht hoch die Tür, die Tor macht weit, es kommt die Schweitzer reingeschneit. Nur bekam sie von ›Eyüboğlu‹ wohl eher den Koran an den Kopf statt Christbaumkugeln. Bei ›Kröger/Pohl/Pietsch‹ stolperte sie entweder in eine Studenten-WG oder mitten in einen flotten Dreier. Oder beides. Der zweite Name hinter ›Hoffmann‹ war geschwärzt. Roch verdammt nach frischer Trennung. Last Christmas, I gave him my heart, but the very next day he gave it away … Heul! Ja ne. Wer wollte schon alte Wunden aufreißen wegen ein paar läppischer Strohsterne? Strohsterne retten deinen Arsch, Schweitzer. Verfluchter Scheißdreck. Auf zur Tat.
Allzu aufdringlicher Zigarettenmief sprach gegen Tür eins, Gewehrgeräusche und kreischende Stimmen sprachen gegen Tür zwei und den Actionfilmgucker dahinter. Bei Tür drei öffnete niemand. Ganz grandios. Weiter in den ersten Stock.
Nach kurzer Wartezeit erschien ein graumelierter Pullunderträger um die sechzig in hellem Hemd und beiger Cordhose. Tiefe Querfalten zerfurchten seine blasse Stirn über stechenden Stahlaugen, die Jule eindringlich und eher abschätzig musterten.
Überkorrekter Sesselpupser im Finanzamt, jede Wette.
»Guten Abend, Herr … äh …« Möglichst unauffällig schielte Jule zum Klingelschild. »Schultz, genau. Oh. Mit Titel. Dr. Schultz.« Ich korrigiere: Unidozent für Rechnungswesen. Oder Anästhesist. »Verzeihen Sie die Störung. Ich wohne über Ihnen und … keine Sorge, dies wird keine Beschwerde. Alles super. Meine Frage wäre nur … äh … Könnten Sie mir freundlicherweise dieses Wochenende Ihre Weihnachtsdekoration borgen?«
»Haben Sie getrunken?«
Pfefferminzbonbon vergessen. Verdammt. Hitze schoss in ihre Wangen. »Äh … das spielt keine Rolle. Zurück zu meiner Frage.« Sie zeigte Grübchen. »Weihnachten.«
Schultzes Stahlaugen verengten sich. »Glauben Sie, ich falle darauf rein?«
Wirtschaftsprüfer? Jule schluckte. »Auf was jetzt genau?«
»Sie arbeiten doch fürs Fernsehen.«
»Das wissen Sie?« Jule verrutschte die Tonlage. »Ja cool. Wow, Sie …«
»Sind Sie hier im Auftrag der ARD?«
»Ich?« Automatisch zuckte Jule zusammen. Aus Schultzes Mund hörte sich ARD so heimtückisch an wie KGB. Heiliges Kanonenrohr. An wen war sie denn hier geraten? »Äh … keine Angst. Die
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