VIRALS - Tote können nicht mehr reden - Reichs, K: VIRALS - Tote können nicht mehr reden
verunglückt, als er im Schooner Creek nach Flusstrommlern geangelt hat. Er ist in zu seichtes Wasser geraten und auf Grund gelaufen.« Hi war wieder zu Atem gekommen. Die Verzweiflung stand ihm ins Gesicht geschrieben. »Er wurde durch die Luft geschleudert und hat sich dann irgendwie das Bein aufgeschlitzt. Sieht ziemlich böse aus.«
Ben Blue wohnt ebenfalls in unserem Block, ist aber auch manchmal bei seiner Mutter in Mount Pleasant. Ich hatte auf Ben und Hi gewartet, um mit ihnen nach Folly Beach zu fahren.
»Wie böse? Wann? Wo ist er?« Vor lauter Besorgnis brabbelte ich wild drauflos.
»Er hat das Boot zum Bunker manövriert, wo ich war, aber dann ist der Motor abgesoffen.« Er lächelte reumütig. »Also bin ich mit dem alten Kanu hierher gepaddelt, um Shelton zu finden. Ich dachte, das ginge schneller. Blöde Idee. Das hat ewig gedauert.«
Jetzt wusste ich, warum Hi so erschöpft war. Kanufahren auf dem Meer ist extrem anstrengend, vor allem, wenn man gegen die Strömung ankämpfen muss. Der Bunker ist nur anderthalb Meilen von hier entfernt. Er hätte laufen sollen. Aber das rieb ich ihm nicht unter die Nase.
»Und jetzt?«, fragte er. »Sollen wir Mr Blue Bescheid sagen? «
Bens Vater, Tom Blue, ist für die Schiffsverbindung zwischen Morris und Loggerhead Island verantwortlich und
kümmert sich außerdem um die Fähre, die zwischen Morris und Charleston verkehrt.
Wir schauten uns an. Ben besitzt seinen kleinen Flitzer seit knapp zehn Monaten. Und sein Vater ist ein Pedant, wenn es um die Sicherheit an Bord geht. Wenn er etwas von dem Unfall erfuhr, dann war Ben sein Lieblingsspielzeug gleich wieder los.
»Nein«, antwortete ich. »Wenn Ben die Hilfe seines Vater wollte, dann hätte er dir das gesagt.«
Sekunden verstrichen. Am Strand schrien sich die Möwen die Nachrichten des Tages zu. Über unseren Köpfen legte sich eine Schar von Pelikanen mit weit gespannten Flügeln in die morgendliche Brise.
Ich traf eine Entscheidung. Ich wollte versuchen, Ben eigenhändig zusammenzuflicken. Doch wenn die Wunde zu groß sein sollte, würden wir ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen müssen – zornige Eltern hin oder her.
»Wir treffen uns auf dem Weg.« Ich war schon unterwegs zum Hauseingang, um meinen Erste-Hilfe-Kasten zu holen. »Lass uns mit den Fahrrädern zum Bunker fahren.«
Fünf Minuten später jagten wir auf einem harten Sandstreifen, der sich zwischen den hohen Dünen dahinzieht, in nördliche Richtung. Auf meinen erhitzten Wangen fühlte sich der Wind angenehm kühl an. Meine wie immer hoffnungslos verfilzten Haare wehten wie eine rote Fahne hinter mir her.
Zu spät dachte ich an Sonnencreme. Meine blasse New-England-Haut kennt nur zwei Färbungen: weiß oder krebsrot. Und Sonnenlicht lässt die Anzahl meiner Sommersprossen regelrecht explodieren.
Okay, ich bekenne: Die Modellagenturen stehen nicht gerade Schlange, um mich unter Vertrag zu nehmen, aber ich
sehe wirklich nicht übel aus. Ich bin ziemlich groß und habe zudem die feingliedrige Gestalt meiner Mutter geerbt. Das zumindest hat sie mir hinterlassen.
Unser Weg schlängelte sich der Landspitze unserer Insel entgegen, der Cummings Point heißt. Linkerhand die hohen Dünen, zur Rechten der abfallende Strand, dann das Meer.
Hi trat hinter mir in die Pedale und schnaufte wie eine Dampflokomotive.
»Soll ich langsamer fahren?«, rief ich über die Schulter.
»Versuch’s, und ich fahr dich über den Haufen«, schrie er. »Ich bin Lance Armstrong.«
Wenn du Lance Armstrong bist, bin ich Lara Croft, dachte ich und drosselte so langsam das Tempo, dass er es nicht merkte.
Da ein Großteil von Morris Island aus Marschland oder Dünen besteht, kommt nur die nördliche Hälfte als Bauland infrage. Hier wurde Fort Wagner errichtet. Desgleichen die anderen alten Militäreinrichtungen, überwiegend simple Schützengräben, Furchen und Erdlöcher.
Mit unserem Bunker sieht’s jedoch anders aus. Der ist der helle Wahnsinn. Wir sind auf ihn gestoßen, als wir einmal nach unserem Frisbee suchten. Totaler Zufall. Das Ding liegt so gut versteckt, dass man genau wissen muss, wo er sich befindet. Niemand scheint sich mehr an ihn zu erinnern. Und das soll auch so bleiben.
Nachdem wir fünf Minuten weitergestrampelt waren, bogen wir vom Weg ab, umkurvten eine riesige Düne und schossen nach unten in eine tiefe Mulde. Von dort kann man nach knapp dreißig Metern eine Mauer erkennen, die zwischen den Sandhügeln verborgen liegt.
Ungefähr zehn
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