Virga 01 - Planet der Sonnen
hinter ihnen die ersten Raketen auf, rote Streifen, die unheimlich
lautlos an ihnen vorbeirasten. Jede Sekunde konnte die Krähe von einer Explosion erschüttert werden; und doch hatte auch die Angst ihre Grenzen. Hayden sah hinaus, solange er konnte, aber irgendwann fielen ihm die Augen zu, und Aerie, seine Eltern und die Zerstörung ihrer halb vollendeten Sonne geisterten durch seine wirren Träume.
Die Bilder blieben, auch als ihn jemand an der Schulter packte und wachrüttelte. »Der Waffenmeister möchte Sie sprechen«, sagte ein Besatzungsangehöriger. Hayden knurrte ein »Danke« und stieß sich vom Fenster ab. Das Geräusch der Triebwerke hatte nicht aufgehört; offenbar war er noch am Leben. Aber er hatte keine Ahnung, wo er war oder wie lange die Jagd noch dauern konnte.
Auf dem Weg durch das Schiff sah er Männer, die Bullaugen und Ritzen mit dickem, gummiartigem Teer abdichteten. Andere hängten Wasserstoffperoxid-Tanks an die Triebwerke und prüften vor dem Einflug ins Sargassum die Schläuche zur Luftverteilung. Es wurde wenig gesprochen, aber die Spannung war fast mit Händen zu greifen.
Dennoch fand Hayden die Szene irgendwie beruhigend. Ohne dass er es merkte, war ihm die Krähe allmählich zur Heimat geworden - und das war eigentlich kein Wunder. Hayden hatte seit vielen Jahren keine Heimat mehr gehabt; die verschiedenen ungezieferverseuchten Junggesellenappartements, in denen er seine Nächte verbracht hatte, zählten ganz sicher nicht als solche. Dagegen erinnerte ihn die Atmosphäre auf der Krähe an Gavin. Welche Ironie, dass es ein feindliches Schiff war.
Gleich hinter dem Hangar hatte sich Martor an einen Balken geschnallt und schlief. Der Junge sah jünger aus als fünfzehn Jahre. Vor ein paar Stunden hatte er Hayden von dem Kampf auf der gehellesischen Werft erzählt. Die Gehellesen hatten angefangen, die Besatzung über ein schmales Metallgerüst auszuschiffen, in einem Gitterkäfig, bewacht von Soldaten, die ringsum in der Luft schwebten. Wären alle Leute von Slipstream in dem Käfig gewesen, als die Schüsse vom Palast herüberschallten, sie hätten ein leichtes Ziel geboten. Zum Glück hatten sich noch genügend Männer auf den Schiffen befunden, um die Raketen startklar zu machen, und als die Soldaten versuchten, den Käfig loszumachen und zu einem nahegelegenen Blockhaus zu schleppen, hatten sie das Feuer eröffnet. Dann waren sie aus dem Schiff gesprungen, und es war zu einem erbitterten Schwertkampf gekommen. Martor hatte seine Schilderung, wie es seine Art war, mit ausdrucksvollen Hieb- und Stichbewegungen untermalt. Aber er war nicht mit dem Herzen dabei gewesen; in dieser Schlacht waren Männer ums Leben gekommen, die er gekannt hatte, und er begriff allmählich, dass der Tod etwas Endgültiges war.
Hayden schüttelte den Kopf und wandte sich von dem Jungen ab. Nein - die Leute hier waren nicht seine Feinde, ganz gleich, was ihr Land dem seinen angetan hatte. Aerie verdiente seine Freiheit, und Slipstream als Nation verdiente es, gestürzt zu werden. Aber die Bürger Slipstreams verdienten ebenso viel Respekt und Rücksichtnahme wie die Bürger von Aerie. Sie waren alle nur Menschen, sogar die loyalen
Soldaten der Flotte, von denen er jetzt einige zu seinen Freunden zählte.
Es musste doch irgendeine Möglichkeit geben, überlegte er, Politik und Privatleben zu trennen. Er führte seine Verbitterung in den letzten Jahren immer mehr darauf zurück, dass er eine solche Trennung nicht für möglich gehalten hatte.
Noch jemanden überholte er auf seinem Weg: Richard Reiss kauerte einsam vor einem Bullauge, betrachtete den Himmel und trauerte dem Leben in Reichtum und Ansehen nach, aus dem man ihn so jäh herausgerissen hatte.
Endlich klopfte Hayden an die Tür von Aubri Mahallans kleiner Werkstatt. Die Holztür quietschte und öffnete sich zunächst nur einen Spalt, dann weitete sich der Spalt, und ein Lichtstreifen fiel in den Korridor. Er zwängte sich ins Innere, und Aubri, ein Schatten im Schein der Lampe, schloss die Tür hinter ihm.
Und legte den Riegel vor.
»Was kann ich für Sie tun?« Er streckte den Arm aus, und plötzlich war sie bei ihm, seine Finger glitten an ihrem Arm hinauf bis zur Schulter - und die war nackt.
Er wollte die Hand sofort zurückziehen, aber sie hielt sie fest, und nun wanderten seine Finger über die glatte weiche Haut ihres Dekolletes. »Du hast so viel mit uns durchgemacht«, murmelte Aubri. »Ich finde, du hast eine Belohnung
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