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Virga 01 - Planet der Sonnen

Titel: Virga 01 - Planet der Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Schroeder
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Lichtkegel und verschwanden wieder: Fensterstürze, rußgeschwärzte Schuhe, Löffel oder Bettpfosten. Die Männer beteuerten, sie sähen im Dunkeln hinter den Ästen Gestalten lauern, die ihnen zuwinkten.
    Und die Gehellesen gaben die Verfolgung nicht auf.
    Chaison Fanning schloss sich mit Gridde und Aubri Mahallan im Kartenraum ein. Sie verglichen Fotografien der Räume, die sich jeder Messung entzogen, und der ausgedehnten Wände aus ineinander verschlungenen Bäumen, die in der Ferne zu erkennen waren, mit den Karten, die Aubri in der Bibliothek gefunden hatte. Die kostbare Schatzkarte aus der Touristenstation wartete
in einem Glaskasten unter dem Kartentisch. »Alles hängt davon ab, ob wir die Stadt Carlinth finden«, sagte Gridde immer und immer wieder. »Wenn wir die Stadt finden, dann kommen wir auch ans Ziel. Wenn nicht …«
    Dann wurde gemeldet, dass Männer plötzlich das Bewusstsein verloren. Wenn die Luft nicht in Bewegung gehalten wurde, sickerten Kohlendioxid, Monoxide und Rauch von außen ein und verdichteten sich. Wer unversehens und ohne es zu merken in eine solche Todeswolke geriet, der fiel einfach um. Es war, als treibe ein unsichtbares Monster sein Unwesen. Jeder beobachtete jeden; niemand legte sich mehr schlafen, wenn er nicht einen Ventilator in der Nähe seines Gesichts wusste.
    Manche Männer starrten wie besessen durch die Bullaugen, obwohl das gefährlich war. Einer davon war Hayden. Er hatte sonst nichts zu tun, denn ohne Sauerstoff waren die Bikes nicht zu gebrauchen. Er sehnte sich nach Aubri, aber die war mit den Karten beschäftigt. So glaubte er, sich nur dadurch nützlich machen zu können, dass er versuchte, sich ein Gefühl für diesen Ort zu bewahren.
    Natürlich hatte er schon von Sargassen gehört. Sie entstanden immer da, wo ein Wald zu groß wurde und Feuer fing. Normalerweise hatten sie jedoch nicht lange Bestand. Wenn die Luft hindurchstrich, nahm sie den Rauch mit. Und sobald das Gewirr aus verkohlten Ästen zerbrach oder zerlegt wurde, kehrte die Normalität wieder ein. Die Vorstellung, ein Wald könnte so groß werden, dass das Sargassum nicht mehr zu beseitigen wäre, erschreckte ihn. Während er hinausschaute,
vergegenwärtigte er sich, dass hier eine ganze Zivilisation im Dunkeln begraben war: Die Krähe flog brummend an kalkweißen Steinhäusern und rußgeschwärzten Habitaträdern vorbei, in denen nur noch Gespenster hausten.
    Manches in den Linien und Strukturen des Waldes wies darauf hin, dass Leaf’s Choir einst aus großen, künstlich geformten Blasen bestanden hatte, die sich ihrerseits aus kleineren Blasen zusammensetzten, ein fraktaler Palast mit lebenden Wänden. Bisweilen wurden die Ausblicke schwindelerregend. Kilometerweite Räume und Bögen, deren Wände aus Gebäuden bestanden - Häuser dienten als Ziegelsteine, Türme als Säulen, man hatte eine ganze Stadt als Baumaterial verwendet. Er empfand es fast als tröstlich, dass das volle Ausmaß dieser Architektur nicht mehr zu erkennen war; die Pracht, und die Trauer, die mit dem Verlust einhergehen mussten, wären unerträglich gewesen.
    Bisweilen kam es ihm vor, als bewegte sich die Krähe auf einer anderen Existenzebene. Heimat, Freunde, Alltagssorgen waren zurückgeblieben. Das Ein- und Ausatmen der Pumpen und das leise Dröhnen der Triebwerke bestimmten die Welt. Gesichter sah man entweder im Profil, oder man musste sie sich zu den Gestalten dazudenken, die wie Schemen zwischen den Arbeitsstätten auf dem Schiff hin und her glitten. Vielleicht war es dieses Gefühl der Unwirklichkeit, was die Besatzung der Folterer dazu verführte, in ihrer Wachsamkeit nachzulassen.
    Hayden sah die Rakete nicht kommen. Die Folterer befand sich auf der anderen Seite der Krähe und war
außer Sicht. Was er sah, war ein fernes Haus mit einer Reihe von Fenstern, die eben noch schwarz gewesen waren und nun nacheinander blutrot aufleuchteten - ein rascher Peitschenschlag von rechts nach links -, und dann ein weißer Blitz, der das gespenstische Netz aus toten Zweigen grell erleuchtete.
    Der Donnerschlag folgte nur wenige Augenblicke später.
    Schreie, Sirenen und hektische Aktivität zerstörten den trügerischen Frieden. Die Krähe drehte sich um die eigene Achse, und das Bullauge wurde unversehens von Hayden weggetragen. »Positionslichter aus!«, rief der Bootsmann. »Scheinwerfer aus!«
    »Was machen wir denn?«, fragte der Flieger von der Unsichtbaren Hand , mit dem Hayden zuvor gesprochen hatte. »Wollen wir nicht

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