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Virga 01 - Planet der Sonnen

Titel: Virga 01 - Planet der Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Schroeder
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offenbar hatten sich die Navigatoren bei der Entfernung doch verschätzt. Weitere Schläge folgten, es klirrte und krachte, immer wieder kollidierte das Schiff mit den toten Ästen des verbrannten Waldes. Ein Zittern durchlief die Hand , und sie wurde langsamer.
    Der Spalt zwischen den beiden Kreuzern weitete sich jäh. Hayden begriff erst jetzt, dass er sich an den
Balken eines Schiffes klammerte, das keine Sauerstoffversorgung mehr hatte. Alle Menschen, die ihm etwas bedeuteten, befanden sich an Bord der Krähe - Aubri eingeschlossen. In wenigen Sekunden würde die Trennung vollzogen sein, vielleicht sah er sie niemals wieder.
    Er drehte sich um seine eigene Achse, setzte die Füße auf den Balken und schaute nach oben. Ein helles Quadrat - das offene Hangartor der Krähe . Viele Männer drängten sich in der Öffnung, aber nur einer schaute in seine Richtung. Es war Carrier.
    Ihre Blicke trafen sich, sie starrten sich an. Veneras Diener zögerte - eine Sekunde nur -, dann streckte er die Hand aus.
    Hayden sprang. Luftwirbel schüttelten ihn, schwarze Äste schlugen auf ihn ein, Brandgeruch stieg ihm in die Nase. Dann hatte Carrier sein Handgelenk erfasst und zog ihn in die Krähe . Die Lukenmannschaft jubelte.
    Carrier ließ los und wandte sich ab. Der Bootsmann schob Hayden zur Innentür und rief: »Tore schließen! Teeren! Alles bereit zum Einflug ins Sargassum!«
    Hayden schaute zurück. Die Tore waren fast zu. Durch einen Spalt sah er ein Gewirr aus peitschenden Ästen und dahinter die Lichter der Unsichtbaren Hand . Das Schiff drehte ab, seine Scheinwerfer flackerten noch einmal auf und erloschen; dann schlug das Tor vollends zu, und die Mannschaft machte sich daran, es abzudichten.
    Sie hatten Leaf’s Choir erreicht.
     
    Die meisten gehellesischen Verfolger fielen zurück und umkreisten frustriert den schwarzen Wald, doch einige
sargassum-taugliche Schiffe blieben den Slipstreamern auch weiterhin auf den Fersen. So konnte die Krähe es fast nicht wagen, langsamer zu werden - aber die Geschwindigkeit beizubehalten, war ebenso gefährlich. Die äußeren Schichten von Leaf’s Choir waren jahrhundertelang von Holzkohlesuchern ausgebeutet worden und bestanden zumeist aus langen, spitzen, astlosen Stämmen, die sich in vielen Windungen bis zu hundert Meter weit in die Luft schlängelten. Wenn der Aufprall bei hoher Geschwindigkeit erfolgte, konnte ein solcher Speer sogar den Rumpf eines gepanzerten Kriegsschiffs durchstoßen.
    Ursprünglich hatte jeder Baum seine Wurzeln um ein Klümpchen Asteroidenstaub gekrallt. Im Laufe des Wachstums hatten sich die Äste ineinander verschlungen wie Schwimmer, die an einem Gefährten Halt suchten. Da es kein Oben oder Unten gab, hatten sich die Bäume Candesce und die lokalen Sonnen zum Ziel genommen, fadendünne Stängel und Zweige durch den leeren Luftraum geschickt und Netze aus Blättern ausgebreitet, um Licht und Feuchtigkeit einzufangen. Allmählich war so eine riesige diffuse Masse mit eigenem Mikroklima entstanden, die Staub und Steine einfing und assimilierte und das Kohlendioxid und den Rauch der Industrieanlagen, die sich dazwischen angesiedelt hatten, gierig aufsaugte. Menschen hatten die biegsamen Zweige kunstvoll verflochten und ganze Städte aus lebendem Grün mit herrlichen atmenden Räumen geschaffen, die sich über viele Kilometer erstreckten. Generationen von Gärtnern pflegten diese Hausbäume und schmückten sie mit Blumen und Lianen. Riesige, von zarten Tangwedeln eingefasste
Kugeln und Säulen aus Wasser, in denen sich Fische und Menschen tummelten, füllten die Räume im Zentrum. Die Bevölkerung von Leaf’s Choir hatte geschickt riesige Spiegel aus Wasser geformt - indem sie einfach Netze ausbreitete und so lange befeuchtete, bis die Tropfen an nebeneinanderliegenden Maschen zu einer einzigen Fläche verschmolzen - die das Licht Candesces und ihrer eigenen beiden Sonnen viele Kilometer weit in den Wald lenkten.
    Das alles war ein Raub der Flammen geworden. Jetzt war Leaf’s Choir schwarz und sonnenlos, erfüllt von dichtem Rauch, der niemals von der Stelle kam, sondern sich nur in einem endlosen Trauertanz spiralförmig um sich selbst drehte.
    Bald drohten die Navigatoren der Schiffe unter der Last ihrer Aufgabe zusammenzubrechen. Wie sollten sie einen Weg durch dieses gigantische Totenlabyrinth finden? Stunde um Stunde starrten sie hinaus auf die schwarzen Linien im Scheinwerferlicht. Seltsame Gebilde glitten wie Sinnestäuschungen durch die

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