Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Virtuelles Licht

Virtuelles Licht

Titel: Virtuelles Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
Vom Netzwerk:
Hand das Etui nach dem Gefühl aufmachte und die schwarze Brille herausnahm. Das war das einzige Mal, daß die Augen nicht auf ihn gerichtet waren, als sie diese Brille musterten, und das dauerte ungefähr eine Sekunde.
    »Das ist sie«, sagte Rydell. »Nun haben Sie sie.«
    Die Hand legte sie ins Etui zurück und machte es zu.
    »Ja.«
    »Und jetzt?«
    365
    Das Lächeln erlosch. Als das geschah, sah es so aus, als ob er keine Lippen hätte. Dann kam es zurück, diesmal noch breiter und unverschämter.
    »Meinst du, du könntest mir eine Cola aus dem
    Kühlschrank holen? Alle Fenster und die Tür da hinten sind verriegelt.«
    »Sie wollen 'ne Cola?« Es klang ungläubig. »Sie werden mich erschießen, wenn ich aufstehe.«
    »Nein«, sagte er, »nicht unbedingt. Ich möchte
    nämlich eine Cola. Mein Hals ist ein bißchen trocken.«
    Sie drehte den Kopf, um Rydell anzusehen. Ihre
    Augen waren groß vor Furcht.
    »Hol ihm seine Cola«, sagte Rydell.
    Sie stand von der Konsole auf und zwängte sich nach hinten durch, aber nur bis zur Tür, wo der Kühlschrank war.
    »Schau nach vorn«, mahnte er Rydell. Rydell sah in der Windschutzscheibe, wie das Licht im Kühlschrank anging, und erhaschte einen Blick auf sie, wie sie dort hockte.
    »C-Cola light oder 'ne normale?« fragte sie.
    »Light, bitte.«
    »Classic oder entkoffeiniert?«
    »Classic.« Er gab einen kleinen Laut von sich, den Rydell für ein Lachen hielt.
    »Da sind keine Gläser.«
    Wieder dieser Laut. »Gib mir die Dose.«
    366
    »Ist 'n b-bißchen was übergelaufen«, sagte sie, »m-meine Hand zittert ...«
    Rydell schaute zur Seite und sah, wie er die weißrote Dose nahm. Etwas braune Cola tropfte an der Seite runter. »Danke. Du kannst dir jetzt die Hose ausziehen.«
    »Was?«
    »Die schwarze Hose, die du anhast. Zieh sie einfach langsam runter. Aber die Socken gefallen mir. Die wollen wir mal anlassen.«
    Rydell fing den Ausdruck auf ihrem Gesicht auf, das sich in der schwarzen Windschutzscheibe spiegelte, und sah dann, wie es irgendwie leer wurde. Sie bückte sich und zog die enge Hose runter.
    »Jetzt setz dich wieder auf die Konsole. Gut so.
    Genau wie vorher. Laß mich dich anschauen. Willst du auch mal gucken, Rydell?«
    Rydell drehte sich um und sah sie dort hocken, ihre nackten Beine glatt und muskulös, fahlweiß im Licht der Innenbeleuchtung. Der Mann trank einen großen Schluck Cola und beobachtete Rydell über den Rand hinweg. Er stellte die Dose auf die Verschalung des Armaturenbretts und wischte sich den Mund mit dem Rücken seiner behandschuhten Hand ab. »Nicht schlecht, hm, Rydell?« mit einem Nicken zu Chevette Washington. »Läßt sich was mit anfangen, würde ich sagen.«
    Rydell sah ihn an.
    »Macht dich das nervös, Rydell?«
    367
    Rydell antwortete nicht.
    Der Mann gab den Laut von sich, der ein Lachen
    gewesen sein konnte. Trank einen Schluck Cola.
    »Glaubst du, es hat mir Spaß gemacht, den Drecksack so zuzurichten, Rydell?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Aber du glaubst es. Ich weiß, du glaubst, es hat mir Spaß gemacht. Und du hast recht, es hat mir Spaß gemacht. Aber weißt du, was der Unterschied ist?«
    »Der Unterschied?«
    »Ich hatte kernen Ständer, als ich's getan hab. Das ist der Unterschied.«
    »Haben Sie ihn gekannt?«
    »Was?«
    »Ich meine, war es 'ne persönliche Sache, warum
    Sie's getan haben?«
    »Oh, ich schätze, man könnte sagen, daß ich ihn
    gekannt habe. Ja, ich kannte ihn. Ich kannte ihn so gut, wie man niemand kennen sollte, Rydell. Ich wußte über alles Bescheid, was er tat. Ich bin nachts schlafen gegangen und hab dabei auf das Geräusch seines Atems gehorcht. Es ging so weit, daß ich schon an seiner Art zu atmen erkennen konnte, wieviel er intus hatte.«
    »Intus?«
    »Er soff. Wie 'n Russe. Du warst doch Polizist,
    oder?«
    »Ja.«
    »Hast du mal jemand überwachen müssen, Rydell?«
    368
    »Bin nicht so weit gekommen.«
    »Ist 'ne komische Sache, Leute zu überwachen. Mit ihnen zu reisen. Sie kennen dich nicht. Sie wissen nicht, daß du da bist. Oh, sie ahnen es. Sie vermuten, daß du da bist. Aber sie wissen nicht, wer du bist. Manchmal kriegst du mit, wie sie jemand anschauen, sagen wir mal, im Foyer eines Hotels, und du weißt, sie denken, das bist du, derjenige, der sie überwacht. Aber du bist es nie. Und wenn du sie über einen Zeiträum von mehreren Monaten überwachst, Rydell, fängst du an, sie zu lieben.«
    Rydell sah, wie ein Schauer durch Chevette
    Washingtons angespannten weißen

Weitere Kostenlose Bücher