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Virtuelles Licht

Virtuelles Licht

Titel: Virtuelles Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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Teufel, der Kerl schien zu schlafen.
    »Werte Dame«, sagte Rydell bedächtig, »ich glaube, Sie sind verrückter als ein ganzer Sack voller Arschlöcher.«
    Ihre Augenbrauen schossen nach oben. »Da«, sagte
    sie.
    »Was da?«
    »Farbe, Mr. Rydell. Feuer. Die schwerblütige
    verbale Farbigkeit eines nahezu unvorstellbar weit fortgeschrittenen Zerfalls.«
    Darüber mußte Rydell nachdenken. Er merkte, wie
    er das Mohrenbett ansah. »Kommen hier nie Schwarze rein, die sich über solches Zeug beschweren?«
    »Im Gegenteil.« Ihr Ton bekam eine neue Schärfe.
    »Wir machen recht gute Geschäfte mit den
    wohlhabenderen Einwohnern von South Central. Die
    haben zumindest ein Gespür für Ironie. Das brauchen sie wohl auch, nehme ich an.«
    Jetzt würde er zu Fuß zur nächsten U-Bahn-Station gehen, mit der U-Bahn nach Hause fahren und Kevin Tarkowsky erzählen müssen, daß er nicht südlich genug gewesen war.
    Der Privatcop ließ ihn hinaus.
    »Wo kommen Sie eigentlich her, Miss Cooper?«
    fragte er sie.
    »Aus New Hampshire«, sagte sie.
    91
    Er war draußen auf dem Bürgersteig, und die Tür
    schloß sich hinter ihm.
    »Scheiß-Yankees«, sagte er zu dem Porsche—
    Roadster. Es war das, was sein Vater gesagt hätte, aber jetzt fiel es ihm schwer, irgendwas damit zu verbinden.
    Ein großer deutscher Sattelschlepper fuhr vorbei, einer von den Dingern, die Äthanol verbrannten. Rydell haßte sie. Die Auspuffgase rochen nach Brathähnchen.
    92

Hay problemas
    Die Träume des Kuriers sind aus heißem Metall,
    schreienden, rennenden Schatten und betongrauen
    Bergen. Sie begraben die Waisen an einem Hang.
    Plastiksärge, blaßblau. Wolken am Himmel. Der hohe Hut des Priesters. Sie sehen die erste Granate nicht, die von den Betonbergen kommt. Sie reißt ein Loch in
    alles: in den Hang, den Himmel, einen blauen Sarg, das Gesicht einer Frau.
    Ein Geräusch, zu laut, um überhaupt ein Geräusch zu sein, aber durch das Geräusch hindurch hören sie
    irgendwie das ferne, festliche Bumm-bumm der Mörser, das erst jetzt eintrifft. Saubere kleine Rauchwolken steigen von der grauen Bergflanke auf.
    Er fährt hoch und sitzt aufrecht da, allein in dem großen Bett; er versucht zu schreien, und die Worte sind in einer Sprache, die er sich nicht mehr zu sprechen erlaubt.
    Sein Schädel dröhnt. Er trinkt abgestandenes Wasser aus der Cromargankaraffe auf dem Nachttisch. Das
    Zimmer schwankt, verschwimmt, wird wieder scharf. Er 93
    zwingt sich aufzustehen, tappt nackt zu den hohen, altmodischen Fenstern. Zieht ungeschickt die schweren Vorhänge beiseite. San Francisco. Die
    Morgendämmerung, wie angelaufenes Silber. Es ist
    Dienstag. Nicht Mexiko.
    Im weißen Bad zuckt er in der plötzlichen Helligkeit zusammen und reibt sich kaltes Wasser ins taube
    Gesicht. Der Traum weicht zurück, hinterläßt jedoch einen Rückstand. Er fröstelt. Die kalten Fliesen unter einen bloßen Füßen fühlen sich unangenehm an. Die Nutten auf der Party. Dieser Harwood. Dekadent. Der Kurier hat nichts übrig für Dekadenz. Seine Arbeit bringt ihn mit wahrem Reichtum und echter Macht in Berührung. Er lernt Leute kennen, die wirklich was draufhaben. Harwood ist Reichtum und nichts dahinter.
    Er macht das Licht im Bad aus und geht seinem
    schmerzenden Kopf zuliebe vorsichtig wieder ins Bett.
    Er zieht die gestreifte Daunendecke bis zum Kinn
    hoch und läßt den gestrigen Abend noch einmal Revue passieren. Da sind Lücken. Übermäßiger Alkoholgenuß.
    Er hat nichts übrig für übermäßigen Alkoholgenuß.
    Harwoods Party. Die Stimme am Telefon, die ihm
    befohlen hat, dorthin zu kommen. Er hatte bereits mehrere Drinks intus. Er sieht das Gesicht eines jungen Mädchens. Wut, Verachtung. Ihre kurzen, dunklen
    Haare sind zu Stacheln hochgezwirbelt.
    Seine Augen fühlen sich an, als ob sie zu groß für die Höhlen wären. Als er sie reibt, flackern um ihn herum 94
    helle, widerliche Lichtblitze auf. Das kalte Gewicht des Wassers schwappt in seinem Bauch.
    Er erinnert sich, daß er an dem großen
    Mahagonischreibtisch gesessen und getrunken hat. Vor dem Anruf, vor der Party. Er erinnert sich an die beiden identischen, offenen Etuis vor seiner Nase. In einem bewahrt er sie auf. Das andere ist für das, was man ihm anvertraut hat. Teuer, aber er zweifelt auch nicht daran, daß die Information, die es enthält, sehr wertvoll ist. Er klappt die Graphitbügel des Dings zusammen und läßt das Etui zuschnappen. Dann berührt er das Etui, das ihr ganzes Geheimnis enthält,

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