Virtuosity - Liebe um jeden Preis
tatsächlich passierte, war es schwer, daran zu glauben – in meinem Kopf schwirrte alles durcheinander. An einem Tag war ich noch eine arme Studentin aus Mailand und am nächsten schon Solistin an der New York Metropolitan Opera … Es war überwältigend. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, es wäre mir nicht ein wenig zu Kopf gestiegen. Ich glaubte, die Welt gehörte mir.« Sie kicherte. »Die Welt gehörte mir.«
»Und was hast du gesungen?« Ich wusste die Antwort bereits, aber was machte das schon?
»In meiner ersten Saison sangen wir Aida , dann La Traviata und Tosca . In der zweiten Saison sangen wir …« Ihre Stimme verlor sich. Sie wartete darauf, dass ich ihren Satz zu Ende führte.
» Carmen .«
»Ganz genau. Und neun Monate später kamst du auf die Welt.«
Typisch. »Entweder hast du jetzt etwas ausgelassen oder ich war das Produkt einer unbefleckten Empfängnis.«
Sie seufzte dramatisch. »Du kannst einfach nicht davon lassen, Carmen. Na schön. Jonathon Glenn saß bei der Premiere im Publikum. Seine Eltern hatten ein Abonnement, eine Loge, wenn ich mich richtig erinnere. Wahrscheinlich haben sie sie immer noch. In ihren Kreisen ist das eben üblich – eine Gelegenheit, der Welt zu zeigen, wie kultiviert man ist.«
»Oder vielleicht mögen sie Opern einfach.«
»Also bitte. Leuten wie den Glenns geht es bloß darum, sich möglichst schick in ihren paillettenbesetzten Roben und Smokings zu präsentieren, damit sie sich am nächsten Tag in den Klatschspalten der Zeitungen wiederfinden. Leute wie sie gibt es haufenweise in jedem Opernhaus. Sie haben nicht einmal den blassesten Schimmer, welche Oper überhaupt aufgeführt wird, halten aber im Foyer Hof, trinken Champagner und lächeln für die Kameras.«
»O.k., wir kommen vom Thema ab.«
»Wo war ich stehen geblieben?«
»Er kam zur Premiere von Carmen .«
»Richtig. Und dann ist er nach der Aufführung hinter die Bühne gekommen, um mich persönlich kennenzulernen. Eigentlich hatten wir alle gemeinsam die Premiere feiern wollen, aber Jonathon überredete mich, allein etwas trinken zu gehen. Meine Freunde waren sauer, aber mir war es egal. Jonathon sah unglaublich gut aus und einfach so … ich weiß auch nicht … so selbstbewusst. Als wüsste er, dass ich ihm auf keinen Fall einen Korb geben könnte.«
Sie verstummte und blinzelte auf die Straße oder vielleicht blinzelte sie eher in die Vergangenheit. Jedenfalls erschienen jetzt wieder die Lachfalten. In der Stille hörte ich förmlich den wohlbekannten inneren Kampf, der in ihr vorging: Was sollte sie erzählen und was für sich behalten? Jedes Mal, wenn ich sie an diesen Punkt brachte, erzählte sie ein wenig mehr, und doch sah ich in ihren Augen, dass sie mir immer noch etwas vorenthielt.
»Während der nächsten vier Monate waren wir unzertrennlich. Er kam sogar zu den Proben. Erst machte ich mir noch Sorgen, dass er vielleicht seinen Job verlieren könnte, wenn er die ganze Zeit mit mir verbrachte. Aber dann fand ich heraus, dass man nicht rausgeschmissen wird, wenn man der Erbe eines Medienimperiums ist.« Sie hielt inne und atmete tief durch. Als sie fortfuhr, klang ihre Stimme sanfter. »Damals war er noch anders als seine Eltern. Er liebte die Musik wirklich und ich dachte, er liebte auch mich wirklich …«
»Warum also nur vier Monate?«
Die Schaukel quietschte. Diana überkreuzte die Beine, sodass ich beinahe mit dem Kopf zuerst auf den Boden gefallen wäre. Sie war nie besonders glücklich über diese Frage. »Wir passten einfach nicht zusammen.«
»Das ist so vage.«
»Kann schon sein. Aber so war es.«
Ich setzte mich aufrecht hin und studierte ihr Gesicht. Ständig hieß es, wir sähen uns so ähnlich, aber das stimmte nicht. Vielleicht hatten wir dieselben mandelförmigen Augen und die gleichen Locken, aber ihre Nase war sehr zart und ihre Lippen voller. Sie war schön.
»Es hat nicht an dir gelegen, Carmen. Ich schwöre es.«
»Wusste er, dass du schwanger warst?«
»Irgendwie kam alles zusammen. Ich wurde schwanger, Jonathon und ich machten Schluss, meine Diagnose …«
Und schon war das Spiel aus. An dieser Stelle, als sie ihre Stimme verloren hatte, endete die Geschichte jedes Mal. Aber ich wusste auch so über den jämmerlichen Verlauf Bescheid. Polypen auf den Stimmbändern machten mehrfache Operationen nötig, die zu Vernarbungen führten und Vertragsbrüche nach sich zogen, eine zerbrochene Karriere und zerbrochene Träume. Und
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