Virtuosity - Liebe um jeden Preis
waren wir ausreichend hinter den dicken grünen Büschen, die aus Blumenkästen quollen, und den goldfarbenen Sonnenschirmen versteckt. Perfekt, um unsichtbar zu bleiben.
»Sag mir noch mal, wonach ich Ausschau halten soll.« Heidi leckte sich einen Schokoklecks vom Daumen.
»Blonde Haare, Geigenkasten.«
»Ja richtig. Und jetzt sag mir noch mal, warum du hinter diesem mysteriösen Albino-Geiger her bist.«
»Er ist kein Albino und ich bin nicht hinter ihm her. Hinter ihm her zu sein würde bedeuten, dass ich eine Art romantisches Interesse an ihm hätte.«
»Komm schon, jetzt bleib mal locker«, ärgerte sie mich. »Eine kleine Schwärmerei ist nun wirklich kein Grund zur Aufregung.«
Ich hätte sie gern ignoriert, aber sie lag einfach zu falsch.
»Noch mal: Jeremy King ist nicht mein Schwarm. Ich kenne ihn überhaupt nicht. Er ist ein Konkurrent.«
»Aber jetzt sage ich dir mal, was ich daran nicht verstehe: Wieso musst du ihn denn dann sehen? Schließlich bist du Geigerin und trittst nicht im Armdrücken gegen ihn an. Was soll es dir bringen, wenn du weißt, wie er aussieht?«
»Gar nichts. Ich bin einfach nur neugierig.« Ich nahm meineHaare zusammen und versuchte, meine schwer zu bändigende Lockenpracht zu einem Pferdeschwanz zu binden.
»Alle Welt spricht über diesen Typen.«
»Alle Welt?«
Ich musste sie nicht einmal ansehen, um zu wissen, dass sie grinste. Mein ›alle Welt‹ war nicht ihr ›alle Welt‹. Gelegentlich vergaß ich, dass sich der Rest des Universums nicht ausschließlich um klassische Musik drehte.
»Ich habe das Gefühl, dass dir dieser Wettbewerb langsam an die Nieren geht«, verkündete sie. »Es ist merkwürdig zu sehen, dass du dir Sorgen machst. Du machst dir sonst nie Sorgen.«
»Ich mache mir gar keine Sorgen«, widersprach ich. »Ich möchte ihn bloß sehen. Und außerdem habe ich mich seit vier Jahren auf den Guarneri-Wettbewerb vorbereitet. Irgendwas würde nicht mit mir stimmen, wenn ich nicht zumindest ein bisschen aufgeregt wäre.«
Heidi riss die Augen auf. »Willst du eine Jeremy-King-Voodoo-Puppe anfertigen? Sind wir deshalb hier?«
Noch ehe ich ihr einen bösen Blick zuwerfen konnte, bedachte sie mich mit ihrem patentierten niedlichen Lächeln. Niedlich zu sein ist Heidis größte Waffe. Sie benutzt sie, um Leute für sich einzunehmen. Sie weiß eben, dass sie einfach zu hinreißend ist und man ihr deshalb nicht böse sein kann. Also nimmt sie nie ein Blatt vor den Mund. Ich liebe sie wie eine Schwester, aber sie macht mich ganz verrückt. Manchmal frage ich mich, ob ich auch tun und lassen könnte, was ich wollte, wenn ich babyblaue Augen und butterblumengelbe Haare hätte (ja, Heidi ist im Grunde Barbie, ohne deren sexy Schmollmund). Es wäre toll, brutal ehrlich sein zu können und sich ab und an wie ein verwöhntes Gör zu benehmen. Aber meine dunklen Locken und braunen Augen bewirken einfach nicht denselben Zauber. Und die etwas zu große Nase hilft auch nicht gerade.
»Keine Voodoo-Puppen«, widersprach ich. »Aber überleg mal,wie viel interessanter das hier ist als Physik oder Französisch, womit wir uns eigentlich gerade beschäftigten sollten.«
»Das stimmt.«
»Obwohl, genau genommen bezahlt dich meine Mutter genau dafür.«
Heidi setzte sich sofort aufrecht hin und blickte sich nervös auf der Terrasse um, als könnte Diana tatsächlich hinter einem der Sonnenschirme lauern.
»Suchst du jemanden?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Nö. Ist nur ein Reflex.«
»Physik und Französisch können wir morgen machen. Ich bin sowieso fast fertig.«
Dagegen konnte Heidi nichts einwenden. Die beiden Fächer waren meine letzten High-School-Kurse. Ich hatte Physik bis zuletzt aufgeschoben, weil ich es hasste, obwohl meine Noten gut waren. Nicht, dass es wichtig war. Und Französisch hatte ich nur im Nachhinein dazugenommen. Es war nicht vorgeschrieben für den High-School-Abschluss, aber während meiner Tournee durch Europa letztes Frühjahr hatte ich mich in den Klang der Sprache verliebt. Ich fand es wunderbar, wie die Worte im Mund umherrollten und dann herauspurzelten.
»Du hast recht«, erwiderte Heidi. »Deinem Herzallerliebsten hinterherzuspionieren macht sowieso viel mehr Spaß.«
»Ich hasse dich.«
»Nein, das tust du nicht.« Sie lächelte und schob sich das letzte Stückchen meiner Torte in den Mund. »Ich habe übrigens ein Vorstellungsgespräch«, nuschelte sie.
»Wofür?«
»Einen echten Job. Nichts für ungut.«
»Geschenkt.«
Weitere Kostenlose Bücher